■ Querspalte: Mayday - Revolution No. 10
Früher war's blöde, heute ist es besser. Während früher westdeutsche Popdichter ihre sensiblen „Erkundungen“ unternahmen „für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand“ (Brinkmann) und vor lauter Nachdenklichkeit überfahren wurden, ist man sich heute der revolutionären Sache gewisser. Das Bestehende ist am Ende, weiß selbst Rudolf Scharping, „es verliert an Kraft und Verbindlichkeit seiner Werte“; neue Dinge sind in Planung.
„Am 30. April wird eine Revolution Dortmund erschüttern. Eine Revolution, die in die Geschichte eingehen wird. Die Members of Mayday werden die Ketten brechen und die Freiheit bringen“, heißt es auf bunten Waschzetteln. Nachdem die Parolen der letzten Megatechnotanzevents eher sozialdemokratisch („Reformation“) resp. konsenseuphorisch („Great Coalition“) orientiert waren, gibt sich „das weltweit führende Forum für Techno, House und progressive Dance Musik“ diesmal umstürzlerisch.
„Der Tag der Entscheidung“ steht also an, „mittels des eigenen Sprachorgans“ (Kommunikationsdesigner können auch sprechen) „wird die Mayday ganz Europa erreichen und jedem von ihrem glorreichen Sieg verkünden“; die eventbegleitende „Mayday-Compilation“ wird „Tausende über Tausende Häuser in ihren Grundmauern erschüttern“; „Eltern, Lehrer und Politiker werden von diesem Ereignis überrollt werden“, sechs Millionen Raver können nicht irren, die Jung- Christdemokraten sind auch dabei, und daß Techno „spätestens seit (...) auch Banken im TV mit Techno geworben haben, der revolutionäre Beitrag einer Jugend zur Alltagskultur geworden“ ist, haben wir auch schon bemerkt.
Ist ja auch schön, zumal andere revolutionäre Kämpfe ja inzwischen auch anders bewertet werden: „Nicht 1968, sondern 1868 revoltierten die Studenten in Oxford gegen die bestehende Kleiderordnung und „SØR hat die Schuhe, mit denen die Studenten '68 auf die Straße gingen“. Die „Oxford-Schuhe finden Sie“, klar, „bei ihrem SØR-Herrenausstatter“. Detlef Kuhlbrodt
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