: Kröning: Bremens Selbständigkeit durch Wachstum sichern
■ Ist die politische Selbständigkeit des Bundeslandes Bremen überholt? Kommt es auf den politischen Willen der Bevölkerung an, oder diktiert die Wirtschaftskraft, was die demokratischen Gremien zu tun haben? Schafft Bremen den Kampf um die Selbständigkeit? Ein Beitrag in der taz-Debatte von MdBBü Elke Kröning
Viele taz-Artikel der vergangenen Wochen setzen sich mit Bremens Selbständigkeit und einer Verbesserung der Kooperation zwischen Bremen und dem niedersächsischem Umland auseinander. Thomas Frankes Gastkommentar in der taz vom 11.01.1996 hat damit begonnen.
Es folgte die Darstellung der bisherigen Politik unseres Zwei-Städte-Staates (taz 10./11.02.1996), die Senat und Wirtschaft einmütig seit der Verabschiedung des Sanierungsprogramms im Jahre 1992 verfolgen. Jetzt geht es darum, sie mit vernünftiger Perspektive fortzusetzen. Die Koordinaten dieser Politik sind der in den 80er Jahren bis 1992 erstrittene verfassungsrechtliche Anspruch auf Haushaltsnotlagenhilfe durch den Bund und die Länder und die gegen Ende des Sanierungszeitraums – also 1997 – anstehende, vertraglich und gesetzlich abgesicherte Überprüfung des Standes der Sanierung. Alle Hoffnung ist auf eine Nachbesserung gerichtet; dabei ist klar, daß sie mit den Eigenleistungen Bremens steht und fällt.
Dieter Mützelburg (taz 17./18.02.1996) versucht, das von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der vorigen Wahlperiode mitgetragene Konzept zweifach zu erweitern: Er meint, Bremen erhalte die Sanierungszahlungen, weil das Grundgesetz „gleiche Lebensverhältnisse“ garantiere. Doch damit irrt er. Das Bundesverfassungsgericht hat Bremen nur aufgrund des sog. bündischen Prinzips die Hilfe der Glieder der Gemeinschaft – also des Bundes und der übrigen Länder – zugesprochen. Hilfe bekommt Bremen, weil es seinen finanzverfassungsrechtlichen Pflichten aus eigener Kraft nicht mehr nachkommen konnte. Seine Handlungsfähigkeit als Teil des Bundes ist wieder herzustellen. Doch vor allem übersieht der Kollege den ausdrücklichen Hinweis des Gerichts auf die Möglichkeit – gewissermaßen die ultima ratio – einer Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 GG. Die Debatte um die Selbständigkeit ist deshalb ernster zu nehmen, als es der Fraktionssprecher der anderen Oppositionspartei eingesteht.
Mützelburg plädiert für folgende „Regionalpolitik“: Im Zuge „freiwilliger Aufgabe kommunaler oder landespolitischer Eigenständigkeit“ von bremischer und niedersächsischer Seite soll ein Regionalverband Unterweser „Bargeld an die Hand“ bekommen, die „Bürgermeisterkonkurrenz“ zurückschneiden helfen und sich über „Steuer- und Gebührenumverteilungen“ verständigen.
Alle Probleme gelöst? Kunstprodukt Nord-Staat vom Tisch? Mitnichten: Tom Koenigs, der Frankfurter Stadtkämmerer, gießt Wasser in den Wein und erklärt die Umlandkooperation, mit der die ehemalige Freie Reichsstadt langjährige Erfahrungen gesammelt hat, für „gescheitert“. Nur die Flächennutzungsplanung sei gemeinsam gemacht worden, und dies sei auch sinnvoll (taz 18.03.1996). Die GRÜNEN in Bremen müssen sich von dem Dezernenten einer Großstadt, die Zentrum einer der dynamischsten Wirtschaftsregionen Deutschlands ist, sagen lassen, es sei die Aufgabe des jeweiligen Landes, dafür zu sorgen, daß die Kernstädte der Regionen finanziell überleben können.
Also: Warum soll Bremen seinen Doppelstatus als Land mit zwei Gemeinden ablegen?
Koenigs: „Ich kann mir schwer vorstellen, daß das erfolgreicher ist, als beim Bundesverfassungsgericht zu klagen...“ Die Probleme Bremens sind mit einem Ausweichen in eine Kooperation mit dem Umland nicht zu lösen!
Einen charmanten Einfall steuert der Bremer Unternehmer Hans Henry Lamotte bei (taz 16./17.03.1996). Er kokettiert mit Frankes Analyse (der eine: „Bremen erstickt in seinen zu engen Grenzen“ – der andere: „Bremen nicht zu halten“), und folgert aus der schlichten Prämisse, Bremens Selbständigkeit sei wie einst so heute begründbar („ein Wert für sich“), Bremens Grenzen müßten der „Wirklichkeit angepaßt werden“, d. h. die Stadt müsse ihren „Speckgürtel“ einverleiben. Dabei dürfe Niedersachsen nicht begehren, was ihm nicht zustehe, notfalls müsse die Verfassung geändert werden.
Obwohl Lamotte sieht, daß Art. 29 GG seit seiner letzten Änderung auch eine staatsvertragliche Neuabgrenzung zweier Länder zuläßt, leistet er sich zwei erstaunliche Argumentationsschwächen: Er behauptet, Bremens Wirtschaftskraft sei ungebrochen und expansiv. Doch dies hält bekanntlich einer Nachprüfung nicht stand. Der wirtschaftliche Entwicklungsrückstand der Region ist seit Jahren notorisch. Und: Herr Lamotte blendet die Rechtsposition aus, die sich Bremen über Jahre mühsam erkämpft hat.
Auf ironische Weise entspricht diese Einseitigkeit dem Argumentationsmuster von Mützelburg, der ebenfalls Bremen irgendwie größer machen will: Zwar beurteilt er die Verhältnisse Bremens ungünstiger, sonst wäre ja eine bessere Kooperation mit dem Umland überflüssig. Doch hinter Mützelburgs Hinweis auf die „Gleichheit der Lebensverhältnisse“ steckt eine kapitale Fehlinterpretation des Bundesverfassungsgerichts und für seine Partei bezeichnende Fehlanalyse der finanzwirtschaftlich-ökonomischen Tatsachen: Der Verlust der ökonomischen Handlungsfähigkeit des real existierenden Bundeslandes Bremen war Ausgangspunkt des Haushaltsnotlagen-Urteils, und daran muß jede regionalpolitische Strategie ansetzen.
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
1. Seit Jahren verstößt Bremen wegen seiner Überschuldung gegen das Grundgesetz (Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG) und gegen die Landeshaushaltsordnung (§ 18), wonach die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Stärkung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Diese Vorschriften binden Bund und Länder, wobei das Bundesverfassungsgericht bereits 1989 klargestellt hat, daß einem einzelnen Land – zumal einem so kleinen wie Bremen – jene Feststellung, für sich in einer Ausnahmesituation zu sein, nicht zustehe. Das heißt im Klartext: Bremen darf sich auf Dauer nicht über das Maß seiner Investitionsausgaben hinaus neu verschulden.
2. Ebenfalls kann Bremen seit Jahren nicht die Vorschrift des Art. 109 Abs. 2 GG erfüllen, wonach Bund und Länder bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen haben, denn dazu müßte das Land mehr (konsumtiv) sparen und mehr (wirtschafts- und finanzkraftstärkend) investieren. Das ist der Grund für das Doppelprogramm, das in dem Sanierungsprogramm steckt: Teilentschuldung und Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft.
Ganz besonders dieser letzte Teil ist hervorzuheben: Bremen muß die Einnahmenseite seines Haushalts verbessern, weil Sanierung mehr als Teilentschuldung ist. Neben der Stärkung der Wirtschaftsstruktur gehören dazu auch Verbesserungen des Kostendeckungsgrades bei öffentlichen Dienstleistungen und eine weitgehende Privatisierung. Nur wenn und soweit das durch aktive Strukturpolitik gelingt, wird die Haushaltswirtschaft des Landes (wieder) ihre gesamtwirtschaftliche Funktion erfüllen.
3. Das Bundesverfassungsgericht hat den Instrumentenkasten für die Beseitigung und die Abwehr von Haushaltsnotlagen aufgezeigt, der durch die Vulkan-Krise aktueller ist denn je: Haushaltskonsolidierung (Maßstäbe: Art. 115 Abs. 1 Satz 2 und Art. 109 Abs. 2 GG) und besondere Wirtschaftsstrukturhilfen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a und b GG), Investitions-hilfen (Art. 104a Abs. 4 GG) und Standortent-scheidungendes Bundes zugunsten Bremens u.a.m. Dies wird im Rahmen der Sanierung im wesentlichen durch das Investitionssonderprogramm umgesetzt.
An diesen Kernpunkten sind Logik und Struktur des Sanierungsprogramms und der Sanierungsregelungen, die auf dem Programm aufbauen, orientiert!
Und für alle Finanzdiplomaten: Es geht darum, was das Bundesverfassungsgericht 1989 mit den Worten zusammenfaßt hat, nämlich, daß die öffentlichen Haushalte „von Verfassungs wegen nicht mehr nur eine Bedarfsdeckungsfunktion (haben). Dem Haushaltsgesetzgeber ist zugleich eine Verantwortung für die Auswirkungen des Haushalts auf die Gesamtwirtschaft auferlegt worden; er hat in und bei seinen Bedarfsdeckungsentscheidungen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen“ (BVerfGE 79, 311 ff, 331/332).
Das Bundesverfassungsgericht begrenzt außerdem den „haushaltswirtschaftlichen Vorgriff auf zukünftige Einnahmen“. Bund und Länder sind gefordert, ihre Wirtschaftsstruktur an neue Gegebenheiten anzupassen und der hohen Staatsverschuldung entgegenzuwirken (a.a.O, 334/335 und 339/340). Das bedeutet z.B. auch, daß wir einen Umbau der Haushaltsstruktur von weniger konsumtiven zu mehr investiven Ausgaben brauchen. Und es bleibt richtig, daß dazu die Aufgabenkritik und der Leistungsstandardvergleich konsequent fortzusetzen sind.
Doch nie vergessen darf man: Was das Verfassungsge-richt zu Bund und Ländern sagt, gilt für unser Land erst recht. Es kommt fast einem Gemeinplatz gleich, noch einmal darauf hinzuweisen, daß die „Bremer Ausnahme“ eine „extreme Ausnahme“ ist und daß ein strukturelles Haushaltsdefizit und seine Kreditfinanzierung nicht zur Regel werden darf.
Mit anderen Worten: Wenn Haushaltsnotlagenhilfe nicht mehr fruchten sollte, d. h. wenn die Konsolidierung des Haushalts nicht erkennbar auf das Sanierungsziel hin voranschreitet – und dieser Vorhalt könnte Bremen bereits 1997 begegnen –, wenn die Koalition nicht verantwortlich handelt, ist nicht nur die Handlungsfähigkeit, sondern auch die Existenz des Landes in Frage gestellt!
Diese mögliche Krise der rechtlichen Legitimität Bremens braut sich in jüngster Zeit dramatisch über Bremen zusammen. Wenn sich eine Überschrift wie „Das Bundesland Bremen ist und bleibt Kostgänger der Nation“ (FAZ 28.03.1996) nicht verfestigen soll, dann nützt es nichts, sich einzuigeln und so zu tun, als gäbe es kein Zukunftsproblem Bremens. Was not tut ist Gegensteuern, und zwar umfassend: Nicht nur ein Marketing, sondern auch ein Management des Problems ist nötig; ich sehe das bei der Großen Koalition nicht. Bisher gilt: Außer Selbstdarstellung nichts gewesen...
Ich fordere von denen, die in Bremen regierungspolitische Verantwortung tragen, eine ökonomische Strategie für diese Region, die Bund und Ländern – nicht zuletzt dem sperrigen Partner Niedersachsen – nahegebracht wird und die nicht nur auf Beseitigung unserer Haushaltsnotlage und Wirtschaftsstrukturschwäche zielt, sondern auch auf die Abwehr dieser Gefahr beiderseits unserer Landesgrenzen. Sie sollte die Anlage des Sanierungsprogramms auf die Region übertragen und eine Strukturpolitik umreißen, die entschlossen wachstums- und wettbewerbspolitisch orientiert ist. Das heißt in erster Linie: Bremen muß im Wettbewerb der Wirtschaftsregionen eine Leitfunktion übernehmen. Die Politik hat Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Wirtschaftswachstum nachhaltig fördern. Für mich gehören dazu vorrangig der Ausbau Bremens als Dienstleistungszentrum (Messe, Touristik usw.) und als Zentrum für Forschung und Technologie in Verbindung mit den Hochschulen, die Förderung der Kultur (Musik, Theater usw.) und die Stärkung des Mittelstands. Zu diesen Investitionsanstrengungen sind alle öffentlichen und privaten Akteure in Bremen gefordert, und an diesem Ziel sind alle institutionellen Vorschläge, besonders zur Aktivierung der Landesplanung und des Kommunalverbundes, auszurichten.
Nur mit einem solchen erweiterten regional- und strukturpolitischen Ansatz wird Bremen die 1997 bevorstehende Verhandlungsrunde erfolgreich bestehen. Wenn die Verhandlungen wegen schlechter Vorbereitung scheitern sollten, wären auch die Chancen in Karlsruhe gleich null. Der Rechtstitel Bremens ist nur so viel wert, wie er in politische Münze umgesetzt wird.
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