: Der Schweißer hat schuld?
■ Der Brand in Düsseldorf holt uns vom hohen Roß
Wie umgehen mit einem Großfeuer, dessen verheerende Wirkungen vermutlich nur jene wirklich begreifen, die ihm knapp entronnen sind? Wie kann es sein, daß ein Flughafengebäude, das jedermann als großzügig und nach allen Seiten offen erlebt, gleich für 16 Menschen zur tödlichen Falle wird? Die erste, weil nach dem Schock entlastende Regung: ein Ereignis, vergleichbar einer Naturkatastrophe. Tote und Verletzte als zufällige Opfer eben jener Lebensrisiken, die alle Mitglieder einer Hochtechnologiegesellschaft tragen und billigend in Kauf nehmen müssen. Danach Übergang zur Tagesordnung.
Die zweite Regung: Erschrecken über die Anfälligkeit konventioneller Alltagstechnik in einer Gesellschaft, die sich einiges darauf zugute hält, unter den „entwickelten Industrienationen“ eine Spitzenstellung einzunehmen. Und, als kritischer Zeitgenosse, das zweischneidige Gefühl, wieder einmal recht behalten zu haben. Ist nicht genug gewarnt worden vor der Verwendung solcher Stoffe, die im Brandfall tödlich- ätzende Gase absondern? Mag ja sein, daß die Konstruktion der Klimaanlagen nicht in Ordnung war, daß Feuerschutzregularien nicht eingehalten wurden. Aber Sicherheitsvorschriften – und Möglichkeiten, sie zu übertreten – gibt es nicht nur am Flughafen Düsseldorf Dutzende. Der Schuldige ist immer der Schweißer. Schon rufen die Verantwortlichen nach – nein, nicht nach einem Verbot von PVC in öffentlichen Gebäuden, sondern nach besseren Brandschutzbestimmungen. Typisch deutsch? Typisch deutsch!
Man stelle sich einmal vor, im Abfertigungsraum der Flughafenbutze von Puerto Plata wären 16 deutsche Urlauber Opfer einer Feuersbrunst geworden. Wäre dann der Schweißer schuld gewesen? Nein, die Bananenrepublik. Von Puerto Plata, das nur zur Erinnerung, startete vor zwei Monaten die Birgenair zu ihrem Todesflug. Stunden später gab es in der deutschen Öffentlichkeit über die Schuldigen keinerlei Zweifel. Eine Fluggesellschaft, die ihre Maschinen schlampig wartet, und ein Reiseveranstalter, der bei der Sicherheit spart. Typisch türkisch! Das Fernsehen führte die Chefs wie Schwerverbrecher vor. Am Ende hatte der Pilot versagt. Jetzt rächt sich die chauvinistische Überheblichkeit, die damals über diesem Land hing. Das ist die dritte Regung. Gerd Rosenkranz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen