"Alle reden von Orgien"

■ Im Münchner Haus der Kunst legen DJs zu Frank Stellas Bildern Platten auf - für Christoph Vitali, den Direktor des Museums, ist die Party eine Betrachtungshilfe

Letzten Samstag gab es im Münchner Haus der Kunst eine Ausstellungsnacht der besonderen Art: Während bis drei Uhr morgens Bilder des amerikanischen Popmalers Frank Stella zu sehen waren, drehte DJ Michael Reinboth die neuesten Drum & Bass-Scheiben. Heute wird sich das Museum zum zweiten und vorläufig letzten Mal in einen Dancefloor verwandeln. Ein Gespräch mit dem Chef des Hauses, Christoph Vitali.

taz: Auf der Biennale in Venedig wurde ein Techno-Klub für Künstler eingerichtet. Wollen Sie jetzt das Haus der Kunst zur Disco umgestalten?

Christoph Vitali: Nein. Was wir machen, ist eine Ausstellungsnacht mit Musik. Das Tanzen ist dabei ein Nebeneffekt, gegen den wir nichts haben; aber es ist eben nicht das Wichtigste. Beim letzten Mal hat bis halb zwei kaum jemand getanzt, die Besucher haben höchstens ein bißchen in den Hüften geschaukelt. Erst allmählich entwickelte sich ein ganz sanftes Tanzen.

Woher kam die Idee, DJs in die Frank-Stella-Ausstellung zu holen?

Wir wollten damit vor allem ein junges Publikum ansprechen. Die Malerei von Frank Stella steht musikalischen Richtungen wie dem Jazz sehr nahe; sie ist aber auch ein wenig sperrig, sowohl der spätere Stella in seiner beinahe schon barocken Opulenz als auch das frühe minimalistische Werk. Mit Musik wird so eine Kunst leichter zugänglich, indem man etwa beim Betrachten eines Bildes Rhythmen hört, zu denen man sogar tanzen kann.

Wie steht es um die Sicherheit der Bilder, wenn 4.000 Besucher kommen, die an der Bar Bier trinken und dann eben zum Tanzen in die hinteren Räume schauen?

Wir haben das Sicherheitspersonal verdreifacht. Dennoch ist ein gewisses Risiko dabei. Das Publikum hat sich aber sehr wohl verhalten. Und es war sehr bunt: Es waren Kids und Freaks da, aber auch ältere Menschen. In der Disco oder an einem normalen Ausstellungstag haben wir diese Mischung nicht.

Wie schätzen Sie die Wirkung dieser ungewöhnlichen Ausstellungsform ein? Als eine Art Rückkehr zum Happening der Sixties?

Vorab: Ich habe eine große Ehrfurcht vor Kunst. Ich will mich, pathetisch gesagt, hinknien vor der Kunst, aber dieses Hinknien kann die verschiedensten Formen haben; es kann auch vergnüglich sein. Das Schlimmste ist, wenn Kunst zu einem Einrichtungsgegenstand wird. Dagegen ist ein Museum sehr wohl ein Tempel, in dem sehr wichtige Dinge der Menschheit aufbewahrt werden. Dieser Tempel muß jederzeit offenstehen, in seinen Mauern muß man Schutz finden können. Und weil ich davon ausgehe, daß Kunst eine emanzipatorische Wirkung hat und den Menschen verändert, müssen wir einen möglichst breiten Zugang dazu schaffen. Insofern haben die beiden Stella-Nächte vielleicht etwas Revolutionäres, weil viele Menschen Kunst für eine Verschlußsache halten und durch solche Veranstaltungen offener werden.

Ist das Haus der Kunst also das erste Museum, das Besucher mit einem Dancefloor lockt?

Da bin ich überfragt. Aber Musikinstallationen gab es schon bei den Dadaisten. Inszenierung der Kunst ist ein uraltes Phänomen; selbst die Kunst, die man in einer Kirche sieht, ist eine Inszenierung. Insofern ist das nicht unbedingt etwas Neues.

Kein anderes Museum animiert seine Besucher zwischen den Bildern zur Party?

Dazu gab es bereits kritische Stimmen in Kollegenkreisen. Alle, die nicht dabei waren, reden von schrecklichen Orgien, die da stattgefunden haben sollen, wo gezecht und getanzt und weiß Gott noch alles wurde zwischen den Bildern. Ich würde sagen, was wir da erlebt haben, war eine konzentrierte Art der Betrachtung, und dazu gab es moderne Popmusik.

Können Sie mit Drum & Bass oder House-Musik etwas anfangen?

Ich habe nicht sehr viel Ahnung von diesen Dingen. Ich finde es aber sehr vergnüglich. Es ist fremdartig, und gleichzeitig fühle ich mich wohl dabei.

Tanzen Sie auch selbst gerne?

Nein, ich bin kein großer Tänzer, aber ich habe nichts dagegen. Ich bin ein Sympathisant. Interview: Wolfgang Farkas

Die nächste DJ-Veranstaltung im Haus der Kunst München findet heute abend statt