In Beirut werden Erinnerungen an die israelische Besetzung 1982 wach

■ Fast alle fürchten ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs. Neue Gruppen veranstalten Foren zur Einheit des Libanon

Gerade hatte man in Beirut begonnen, den Frieden als Normalität zu empfinden. Noch bei den ersten Angriffen am 9. April blieben alte Männer gelassen auf der Straße sitzen, den Blick zum Himmel, als gelte er dem Wetter und nicht den israelischen Helikoptern. Inzwischen macht sich Wut, Verzweiflung und Depression breit. Der Krieg ist zurück. Unbehelligt von der libanesischen Marine – die nur aus drei Schiffen besteht –, patrouillieren israelische Kriegsschiffe vor der Küste. In den letzten Tagen sind die ersten ausländischen Hilfsgüter eingetroffen, doch angesichts der israelischen Seeblockade drohen landesweite Versorgungsengpässe. Es werden Erinnerungen wach an die israelische Besetzung 1982, als die Stadt über Wochen abgeschnitten war. Keine Lebensmittel, keine Medikamente, kein Wasser, kein Strom. Und jedes Kind weiß, daß die libanesische Regierung die Forderung der Israelis nach Entwaffnung der Hisbollah-Milizen nicht erfüllen kann, daß eine derartige Entscheidung nur in Damaskus und Teheran getroffen werden könnte.

In Beirut glauben viele weniger an anstehende Wahlen und Sicherheitsinteressen in Israel als Begründung für die Militäraktionen – sondern daß der Libanon destabilisiert werden soll. Alle fürchten ein Wiederaufleben des Bürgerkriegs: Eine relativ schwache libanesische Armee gegen eine Hisbollah, die sich durch die Ankündigung von direkten Friedensgesprächen zwischen Syrien und Israel in der vergangenen Woche mit dem Rücken zur Wand sieht. Und mittendrin die Palästinenser, die weder eine Chance auf Rückkehr nach Palästina noch auf Integration im Libanon haben. Und wer weiß genau, wie sich die Syrer verhielten, die immer noch mit 30.000 Soldaten im Libanon stehen und deren Stellungen von den Israelis bisher nur einmal versehentlich getroffen wurde?

Nicht nur die Hisbollah sammelt auf den Straßen

Allerorten ist die Rede davon, daß der Libanon in den letzten Tagen in seinem Wiederaufbau um mindestens drei Jahre zurückgeworfen wurde. Sollte der Konflikt weiter eskalieren, hätte Beirut als Wirtschaftsstandort und Handelszentrum gegen Tel Aviv und Haifa in absehbarer Zeit keine Chance.

Gegen das Szenario eines neuen blutigen Bürgerkriegs formiert sich jetzt die libanesische Bürgerbewegung. Neben den Aktivisten der Hisbollah gehen in Beirut auch Studentenverbände auf die Straße und sammeln Geld und Hilfsgüter für die Flüchtlinge. „Nationale Bewegung für das Überleben des Libanon“ nennt sich ein breites Bündnis nichtstaatlicher Organisationen, das am 9. April gegründet wurde, über unterschiedliche konfessionelle Zugehörigkeiten und politische Standpunkte hinweg. Vorgestern versammelten sich erstmals mehrere hundert Beiruter im Gemeindezentrum von Antelias, einem Vorort Beiruts. Die Oberhäupter verschiedener christlicher Konfessionen sowie Abgeordnete zahlreicher Parteien und Delegierte von Studenten- und Schülergruppen legten in kurzen Ansprachen ihr Bekenntnis zur libanesischen Einheit ab. Es sei jetzt Zeit zu handeln, nicht zu reden, war man sich einig. „Civil Society“ und „Die Leute aus dem Süden – das sind wir alle!“ stand auf zahlreichen Transparenten.

Doch die Möglichkeiten sind begrenzt. Direkte Kontakte zur israelischen Menschenrechtsbewegung, die viele wünschen, sind offiziell verboten und wegen der Telefonsperren auch technisch nicht möglich. Und eine Demonstration in Beirut würde höchstwahrscheinlich mit dem Einschreiten der Polizei enden. Seit dem 28. Februar sind alle Demonstrationen untersagt, bei Zuwiderhandlung droht das Kriegsgericht. Trotzdem manifestiert sich der Wille, die noch junge Nachkriegseuphorie nicht im Chaos konfessioneller Streitigkeiten und ausländischer Macht- und Wirtschaftsinteressen versinken zu lassen. Als der ehemalige libanesische Informationsminister Michel Smeha um einen Kommentar dazu gebeten wurde, daß die Israelis auch christliche Gebiete des Landes nicht verschonen, entgegnete er wütend: „Hören Sie auf damit. Das ist kein Krieg gegen bestimmte Regionen, sondern gegen das ganze Land.“ Hans Blank, Beirut