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Umsiedlungswünsche im Wettlauf mit der Zeit

■ Wagenburg an der East-Side-Gallery lichtet sich. 30 Leute fanden Asyl in Mitte

Im Senat herrscht offenbar Einvernehmen darüber, daß die Wagenburg East-Side-Gallery in Friedrichshain „weg“ soll. Die Frage ist nur noch, wann und wohin mit den rund 200 Rollheimern. 12 ehemalige Wagenburgler haben jetzt mit ihren Lastwagen in der Gartenstraße Ecke Bernauer Straße in Mitte vorläufiges Asyl gefunden. 20 weitere East-Side- Bewohner wollen folgen. Vorausgesetzt, sie gewinnen den Wettlauf mit der Zeit und schaffen es, ihre Gefährte vor dem Anrücken der Polizei durch den TÜV zu bringen.

Der Platz an der S-Bahn-Station Nordbahnhof ist nur ein Provisorium, bis das Bezirksamt Mitte ein endgültiges Quartier anbietet. Gestern fand deshalb ein Treffen mit dem Bezirksbürgermeister Joachim Zeller (CDU) und der parteilosen Baustadträtin Karin Zeller statt. Als Standort sei unter anderem auch ein Gelände in der Gartenstraße im Gespräch. „Ein Wassergrundstück wäre mir lieber“, witzelte einer der Wagenburgler und spielte damit auf die schöne Lage der East-Side-Gallery an der Spree an.

Solche Wünsche sind zur Zeit blanke Utopie. Anfang April wurde ein junger Mann aus Eisenhüttenstadt in der East-Side-Gallery ermordet, der dort Drogen kaufen wollte. Kurz danach hatten fünf aus der Wagenburg stürmende Männer auf der Straße einen 18jährigen Touristen überfallen und diesen laut Polizei mit glühenden Eisenstangen niedergeschlagen. „Natürlich“ distanziere man sich von diesen Vorkommnissen, aber so eine „absurde Frage“ werde immer nur Wagenburglern gestellt, schimpfte ein nach Mitte umgesiedelter 26jähriger. „In einem Mietshaus, in dem ein Mord geschehen ist, käme niemand auf die Idee, die Mieter so was zu fragen“, ergänzte seine Freundin. Seit diesen Vorfällen sei eine regelrechte Hetzkampgane der Medien gegen die East-Side im Gange.

Die Gruppe macht keinen Hehl daraus, daß es in der East-Side- Gallery in letzter Zeit viele Probleme gab. Nach der Räumung der Wagenburg am Engelbecken hätten dort zu viele Menschen gelebt. Außerdem sei der Platz mehr und mehr zur Anlaufstelle für die Desperados der Stadt geworden. Von den Bewohnern seien nur ganz wenige wirklich „kriminell“ gewesen, behaupten die Leute in Mitte. Die wirklichen Kriminellen seien mit Mercedes-Wagen der S-Klasse von außerhalb angerückt, hätten Schnauzbärte getragen, mit Heroin gedealt und einige Bewohner mit Messern bedroht. „Eigentlich wollten wir schon viel früher weg, weil uns vieles gestunken hat“, berichtete ein 26jähriger. Der alte Platz sei immer mehr zur Müllkippe verkommen. Jahrelang hätten die Fahrer von Kleinlastern nachts auf dem Gelände säckeweise stinkenden Müll und Sperrmüll abgeladen. Dieser Müll werde nun von der Öffentlichkeit den Bewohnern in die Schuhe geschoben. „Dabei haben wir die Autonummern notiert und sogar Strafanzeige erstattet, aber vergebens“, sagte der 26jährige.

Die große Mehrheit der verbliebenen Wagenburgler würde gern ebenfalls umsiedeln und warte auf Angebote von Ausweichstandorten, weiß die Gruppe in Mitte. Auf dem Platz gehe die große Sorge um, daß sich die Polizei bei der Räumung richtig austoben werde, indem sie die Wohnwagen nicht als „Eigentum“, sondern als „Müll“ betrachten werde. Plutonia Plarre

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