: Der Fall Oleksy ist noch nicht zu den Akten gelegt
■ Verfahren gegen Polens Ex-Premier eingestellt. Das Kesseltreiben geht weiter
Warschau (taz) – „Ermittlungen eingestellt“, „Oleksy zu den Akten“, „Wie geht es weiter?“ – in den polnischen Medien und auf der Straße gibt es nur ein Thema: Jozef Oleksy. Ist er nun ein Spion oder nicht? In den nächsten Jahren werden die Polen kaum eine befriedigende Antwort auf diese Frage erhalten. Denn gegen den ehemaligen Ministerpräsident Polens, der Ende Dezember 1995 von Innenminister Andrzej Milczanowski der Spionage für den KGB bezichtigt wurde, wird erst gar kein Verfahren eröffnet. Der Militärstaatsanwalt, der seit drei Monaten „in der Sache“ Oleksy ermittelte, erklärte am Montag: „Ich habe keinen konkreten Beweis gefunden, um Jozef Oleksy anzuklagen.“
Einen Tag zuvor hatte die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza sich gewundert, weshalb der Militärstaatsanwalt nur ausgewählte Akten zur Einsicht erhalten hatte. Innenminister Zbigniew Siemiatkowski, Parteigenosse von Jozef Oleksy im postkommunistischen „Bündnis der demokratischen Linken“, hatte die Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses nicht weitergeleitet, weil diese „streng geheim“ waren. Auch andere Geheimdienstakten, die den früheren Innenminister bewogen hatten, gegen Oleksy den schwerwiegenden Vorwurf der Spionage zu erheben, leitete sein Nachfolger nicht an den Staatsanwalt weiter.
„Das ist kein Freispruch“, erklärte Jerzy Ciemniewski, Abgeordneter der oppositionellen Freiheitsunion und Mitglied des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. „Der Militärstaatanwalt ist als Beamter ein Vertreter der Regierungsexekutive. Er hat Weisungen von oben zu beachten.“ Der Staatsanwalt könne zwar ein Verfahren einstellen, nicht aber über Schuld oder Unschuld entscheiden. Das könne nur ein unabhängiges Gericht. Die Tatsache, daß der Staatsanwalt nur Indizien, aber keine Beweise in Händen halte, rechtfertige nicht die Niederschlagung des Verfahrens. Es gebe ja auch Indizienprozesse.
Adam Michnik, Herausgeber der Gazeta Wyborcza, forderte die Offenlegung aller Akten. „Polen muß die ganze Wahrheit kennenlernen.“ Von der Art, wie die Affäre Oleksy aufgeklärt werde, hänge die Glaubwürdigkeit des polnischen Staates ab. Ganz anderer Ansicht ist die Trybuna, das frühere Parteiorgan der polnischen KP. Mit der Schlagzeile „Oleksy ist unschuldig“ feierte sie die Einstellung des Verfahrens und kündigte an, daß nun die wahren Schuldigen vor Gericht kämen. Die Sozialdemokratische Partei Polens werde im Parlament beantragen, den früheren Innenminister vor das Staatstribunal zu stellen. Milczanowski meinte dazu: „Ich saß unter den Kommunisten im Gefängnis, warum sollte ich unter den Postkommunisten nicht wieder sitzen?“ Gabriele Lesser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen