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Nicht wie bei Ajax

■ Nach 0:1 gegen Deutschland zweifelt Holland an Personal und Konzept

Rotterdam (taz) – „Ein guter Nachbar ist besser als ein ferner Freund.“ Ein ehrenwertes Motto. „Tradition verpflichtet“ ist aber auch so eins. Was sich der holländische Fußballverband KNVB und sein deutsches Pendant als Höhepunkt der Verbrüderung zwischen den traditionell feindseligen Fans ausgedacht hatten, nahmen am Mittwoch in Rotterdam nur die Spieler einigermaßen ernst. „Wir scheißen auf die schwulen Holländer“, und: „Haß, Haß, Haß“, grölte der deutsche Block. Jede Ballberührung von Seedorf, Bogarde, Veldman und Taument quittierten die von Polizeitrupps umstellten deutschen Anhänger konsequent mit Urwaldgeräuschen – etwas, das in den Niederlanden längst zum sofortigen Spielabbruch führt.

Die Frage, die Holland nun beschäftigt, ist allerdings nicht jene nach dem Geisteszustand der deutschen Anhänger. Sondern: Warum hat Oranje 0:1 verloren? Nach dem Lob aus dem Vogts-Lager für Hollands Künstlerfußball und sein ausgeprägtes Positionsspiel hatten sich die fünf Ajax-Spieler und ihre individuell nicht weniger begabten Mitstreiter in der Pflicht gefühlt. Das Ajax-System schwebt „Bondscoach“ Guus Hiddink auch für seine Oranje-Auswahl vor. Doch das läßt sich nicht so einfach kopieren mit einem Bergkamp (26), der seit seinem Wechsel zu Inter und nun Arsenal eher glücklos agiert. Und den coolen Kluivert kann selbst der Sohn von Johan Cruyff nicht einfach vergessen machen. Barcelona-Stürmer Jordi (22) kam nicht so recht ins Spiel. Kollege Bergkamp dagegen war ständig am Ball. Aber in seinen Aktionen materialisierte sich das ganze Dilemma des holländischen Spiels: Zehn Individualisten mühten sich – doch es lief einfach nicht zusammen. Trotz vereinzelter Kunststückchen aus dem Hause Ajax – nichts erinnerte an das gut eingespielte Kollektiv, das im europäischen Wettbewerb nacheinander Madrid, Dortmund und Athen vorgeführt hat.

Was nicht zuletzt das Verdienst des taktisch recht klug agierenden deutschen Teams war. Jürgen Klinsmann hatte die DFB-Auswahl per Foulelfmeter (17.) in Führung gebracht; danach legten Sammer, Kohler und Freund die Oranjes lahm. Ein Stück weiter vorn bewies Mario Basler Defensivqualitäten: Der Bremer beschäftigte immerhin Clarence Seedorf so, daß der keine Gelegenheit fand, Jordi zu bedienen, wie er es hätte tun sollen.

Es war nicht so, daß die deutsche Arbeit überhaupt keine holländischen Chancen zugelassen hätte: Die beste hatte Bergkamp – vom Elfmeterpunkt. Andreas Köpke parierte den geschenkten Strafstoß (31.). Auch Youri Mulder, in der 56. Minute für Taument eingewechselt, scheiterte mit seinem Kopfball an Köpke, genau wie der quirlige Debütant Peter Hoekstra kurz vor Schluß.

Berti Vogts ist gut dran; er weiß, was seine Leute können und was nicht. Kollege Hiddink dagegen wird mit Talenten wie Jordi noch seine Sorgen haben. Augenzeuge Johan Cruyff ließ Milde walten. „Er hatte es nicht leicht mit seinem Namen. Er wird seinen Weg machen, auch wenn er die hochgesteckten Erwartungen heute abend nicht erfüllt hat.“ Ungewohnte Töne von einem, der sonst stets alles fordert. Henk Raijer

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