: Ein Odeur von Butterfahrt
Vergnügen bereitete dem Publikum im Westfalenstadion beim 1:1 der Borussia gegen den HSV vorzugsweise die Niederlage der Bayern ■ Aus Dortmund Thomas Lötz
Bei Borussia bauen sie seit geraumer Zeit für die Zukunft. Das Dortmunder Westfalenstadion ist eine Baustelle, und die logistische Verwirrung, die ein solcher Zustand mit sich bringen kann, hat selbst die Menschen in der Stadt des Deutschen Fußballmeisters ergriffen. Auf die Frage, wo denn „Block H“ auf der Westtribüne zu finden sei, kann es dann schon mal passieren, daß der durchaus hilfsbereite Ordner unter leicht schwerfälligem Atmen einen Zettel aus der Hosentasche zieht und beim Betrachten des Papiers sympathische Hilflosigkeit präsentiert: „Ja, weiß ich jetzt auch nicht. Die haben hier ja alles umnumeriert.“
Schließlich kommt man dann doch an den zugewiesenen Platz und stellt fest, daß dort alles beim alten ist. Mit der Ausnahme, daß der neue Oberrang bis auf ein paar Baugerüste bezugsfertig ist und an diesem Tag, beim Spiel gegen den Hamburger SV, eingeweiht wird. In die Sitzschalen ist „Borussia“ eingelassen – in Gelb mit schwarzem Schatten. 6.000 zusätzliche Plätze, macht jetzt total 48.800 Zuschauer. Und die waren natürlich auch alle da, bevor ihnen demnächst die Lohnfortzahlung gestrichen wird.
Wieder einmal ausverkaufter Feiertag in „Deutschlands Bierstadt Nummer eins“. Und natürlich sind die „Fans von Bo-rus-sia“ gemeinhin als „die besten im Land“ bekannt. Beeindruckend wäre es gewesen, wenn sie zumindest an diesem Nachmittag mal etwas ohne Einpeitscher hätten darbringen können. So aber muß die furchtbar bedauerliche Feststellung gemacht werden, daß Stadionsprecher Norbert Dickel zu einer armen Wurst verkommen ist, die sich schreienderweise am Mikrofon betätigt. Und obwohl man ihn in seiner Kanzel nicht sieht, den Mann aus dem Siegerland, weht einen das Odeur von Butterfahrt, TUI-Club und Ausflug auf den Hof von Bauer Ewald an.
Um 16.52 Uhr grummelte es auf der Südtribüne. Die qua Radio empfangene Rostocker Führung bei den Bayern breitete sich zwischen den Wellenbrechern aus. Es wurde gejubelt. Aber erst als Inszenario-Verkäufer Dickel eine Minute später „Achtung!“ ins Mikro hauchte und das Ergebnis auf die Anzeigetafel durchschaltete, rastete die ganze Südtribüne aus und schien sich daran zu erinnern, daß da unten auf dem Rasen ja noch um meisterschaftsentscheidende Punkte gespielt wurde. Zwischendurch waren die Jungs und Mädels nämlich in den warmen Sonnenstrahlen ein bißchen weggenickt. Zu diesem Zeitpunkt stand es 1:1-Unentschieden, und Riedle, Sammer und Kollegen hatten im Dauerangriff ihre liebe Not und Müh mit sich selbst und gegen eine HSV-Abwehr, die sich im Ganzkörpereinsatz wehrte, als glaubte sie tatsächlich noch an die Möglichkeit einer UEFA-Cup- Teilnahme oder den Karenztag.
Von „Granit“ und „darauf beißen“ sprach Dortmunds Trainer Ottmar Hitzfeld. Aber ganz offensichtlich haben seine Ausbildung zum Mathematiklehrer oder andere unbekannte Dinge dem Mann übel mitgespielt. Jedenfalls sind Hitzfeld-Pressekonferenzen die langweiligsten im Land. Zwar findet man auch einsame Perlen der Erratik vor („Man vergißt manchmal, daß man nicht immer durch die Mitte soll“), und natürlich muß Hitzfeld ja nicht bemüht schlechte Witzchen reißen (Deutschlands Vogts und Gladbachs Krauss), aber er soll uns bitte mit seinen minutenlangen Nacherzählungen verschonen. „Wir sind mit viel Engagement in das Spiel gegangen. Und dann (...) Dann passierte das (...) Und letzten Endes (...)“, so etwa klingt das, egal ob Champions League oder Bundesliga. Und wenn der Dortmunder Nachbar, der auch schon mehr von der Welt gesehen hat als Preißler, Burgsmüller und Borsigplatz, dann allen Ernstes behauptet, 80 Prozent der Anwesenden brauchten solch eine „Analytik“ zum Schreiben ihrer Artikel, dann sehe ich mich gezwungen, auf dieser Seite wieder mal den Berufsstand zu verteidigen.
Hamburger SV: Golz - Schnoor - Henchoz, Rose - Fischer (89. Riedel), Spörl, Hartmann, Albertz, Hollerbach - Salihamidzic (62. Breitenreiter), Bäron
Zuschauer: 48.800; Tore: 1:0 Riedle (39.), 1:1 Spörl (44./Foulelfmeter)
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