"Lieber Teilhaber sein, als auf dem Trittbrett der Hauptstadt sitzen", sagt Ministerpräsident Manfred Stolpe über die geplante Fusion von Berlin und Brandenburg. Wenn am 5. Mai die Abstimmung scheitert, "dann ist Schadensbegrenzung angesagt

taz: Die Umfragen zur Fusionsabstimmung sind nicht sehr optimistisch. Haben Sie innerlich schon aufgegeben?

Manfred Stolpe: Überhaupt nicht. Ich bin da vielleicht ein ganz typischer Ossi. Mich haben Umfragen in Brandenburg in den letzten fünf Jahren gelehrt, das es wenig Sinn macht, sie ernst zu nehmen. Andererseits haben diese Umfragen natürlich einen Mobilisierungseffekt. Es ist endlich soweit, daß die Befürworter eines Zusammenschlusses von Berlin und Brandenburg in die Offensive gehen und nicht die Situation wie im Februar und März weiterbesteht, daß die Gegner sich laut bemerkbar machen und die Befürworter eines gemeinsamen Landes die Freude im Herzen haben.

Sie greifen mittlerweile zu so selbstmörderischen Aktionen und rasen mit dem Motorrad durchs Land, um für die Fusion zu werben. Ist das ihr letzter Notnagel, um die Motorradfans an die Urne zu bewegen?

Wir haben eine Fülle von selbstgewachsenen Aktivitäten, aber ich bin nicht auf die Idee gekommen, Motorrad zu fahren. Es gibt da freundliche Menschen, in diesem Falle der ADAC oder die Werkstatt Deutschland mit einem Zirkus, wo ich auftrat, die an das Gemütsleben der Menschen appellieren, nicht nur an die Vernunft. Wenn die taz-Redaktion sagen würde, ich sollte in ihrem Hof ein Lied singen, würde ich das tun...

Angenommen.

Mein Gesang ist allerdings zweifelhaft, weniger vom Inhalt als vielmehr von der Stimmlage.

Ohne Fusion ist Konkurrenz angesagt

Sind denn Werbeaktionen wie das Motorradfahren oder Plakate mit Babys oder mit einer Allee, die in Frankreich aufgenommen wurde...

... das mag für Berlin gelten. Unser Plakat mit der Allee ist auf jeden Fall nicht in Frankreich aufgenommen worden ...

...gehen solche Plakate nicht an den Leuten vorbei? Warum soll das einen Bürger für die Fusion einnehmen?

Es ist doch so, daß die Entscheidung der Menschen ein Drittel vom Kopf, ein Drittel vom Bauch und ein Drittel vom Herzen bestimmt wird.

Bauch und Herz hin und her, aber warum brauchen wir die Fusion? Schließlich gibt es doch schon eine gemeinsame Landesplanung.

Die gemeinsame Landesplanung ist ein Produkt der Verlobungszeit. Wir haben seit 1992 eine Reihe von Entscheidungen getroffen, auf ein Land zuzugehen. Meine Grundmotivation war immer, lieber Teilhaber zu sein als auf dem Trittbrett einer künftigen Hauptstadt zu sitzen. Berlin wird im Laufe der nächsten 20 Jahre zu einer ganz entscheidenden europäischen Entwicklungsregion werden.

Einem Bürger kann es gleichgültig sein, ob die gemeinsame Landesplanung das Ergebnis der Verlobung ist, und vielmehr diese als Beweis sehen, daß es auch ohne Fusion geht.

Die gemeinsame Landesplanung ist nur unter dem Druck und der Aussicht auf eine gemeinsames Land zustande gekommen. Seit 1992 haben wir deshalb eine gedämpfte Konkurrenzsituation. Die Berliner machen es nicht ganz so konsequent, aber wir achten im Kabinett darauf, ob die von uns getroffenen Einzelentscheidungen für eine künftige gemeinsame Region förderlich sind oder nicht. Es hat immer wieder Havariesituationen gegeben, die von Eberhard Diepgen (Regierender Bürgermeister Berlins,CDU. d. Red.) als auch von mir gedämpft wurden, wenn Streit aufkam.

Der Vertrag zur Landesplanung enthält eine Verfallsklausel. Sollte die Fusion scheitern, ist nach drei Jahren Schluß mit der gemeinsamen Landesplanung.

Was wäre denn so schlimm, wenn im Falle eines Scheitern der Fusion 200 Staatsverträge, wie immer wieder behauptet wird, abgeschlossen werden müßten?

Wir haben jetzt schon 41 Verträge. Einige haben sehr viel Mühe gemacht, andere weniger. Es wird sehr viel Kraft kosten und noch sehr viel schwerer sein, das einigermaßen zu koordinieren. Meine Sorge ist, daß sich die Bürokratie verselbständigt. Sie kennen das ja: Am Ende referiert der Ministerpräsident häufig doch das, was die mittlere Ebene des Apparats ausgearbeitet hat. Wenn die Fusion nicht zustande kommt, dann ist die Konkurrenz unvermeidlich. Warum sollten wir besser sein als Schleswig-Holstein und Hamburg?

„Dann haben wir schlechte Karten“

Sie wollen die Fusion allein deshalb, weil sich Berlin zu einer zugkräftigen Metropole entwickelt?

Wir müssen in der Lokomotive sitzen.

Nun dampft die Lokomotive derzeit ja ziemlich schwach ...

Das ist ja richtig. Aber wenn Berlin erst einmal merkt, das es was draufhat, dann haben wir in Brandenburg ganz schlechte Karten.

Aus Ihren Antworten gewinnt man den Eindruck, Sie haben einen Berlin-zentrierten Blick.

Das liegt an ihren Fragen.

Welche Vorteile sollte jemand aus der Berlin-fernen Region, aus Wittstock oder Prenzlau, von der Fusion haben?

Die entlegenen Regionen werden die eigentlichen Gewinner sein. Wir haben die Verpflichtung zur dezentralen Konzentration im Staatsvertrag, also die Förderung der Tiefe der Region.

Berlin müßte also einen Tribut für die Entwicklung der ländlichen Region leisten?

Wir wollen Berlin nicht herunterwirtschaften. Niemand kann ein Interesse daran haben, die Mitte, die Berlin nun einmal geographisch ist, auszubluten. Doch man wird hier und da Prioritäten setzen müssen. Manches in Berlin und im nahen Bereich wird sicherlich warten müssen. Aber die Maßnahmen, die in der Region geleistet werden müssen, sind im Vergleich zu dem, was der Bund in Berlin wird leisten müssen, ja Lächerlichkeiten.

Es gibt das Argument, bei der Ansiedlung von Gewerbe würden Berlin und Brandenburg gegeneinander ausgespielt. Aber nach der Fusion wird das Problem doch nur auf die Ebene der Gemeinden verlagert.

Das ist ja richtig. Die Konkurrenz der Kommunen wird bleiben, etwa beim Angebot günstiger Gewerbeflächen für Investoren. Ein entscheidender Faktor aber wird sich ändern: Die wirklich großen Fördermittel für die Ansiedlung – Brüssel zahlt mindestens bis zum Jahr 2005 – vergeben die Länder. Dann hört der derzeitige Spaß auf, daß ein Investor zwischen Falkensee und Spandau in Berlin solange hin- und herläuft, bis er den gefunden hat, der mehr gibt.

Leidet nicht die Glaubwürdigkeit der Kampagne daran, daß ungeachtet der Sparnotwendigkeiten der Kommunen und des Stellenabbaus im öffentlichen Dienst mit bis zu 400.000 neuen Arbeitsplätzen geworben wird?

Wir haben das nie gemacht ...

Aber Politiker und Verbände haben mit diesem Argument geworben ...

Die Werbung für die Fusion wird ja von vielen Seiten getragen. Manches, was durchaus gut gemeint ist, kann da schon mal hinderlich sein. Die BrandenburgerInnen haben kein Zutrauen zu Versprechungen in die Zukunft. Das war weder bei Hitler so, noch bei Stalin, Ulbricht, Honecker und auch 1990 nicht bei Kohl, was ja das Wahlergebnis der CDU hier im Lande bewiesen hat. Die Menschen werden äußerst mißtrauisch, wenn wir jetzt anfangen, blühende Gärten zu versprechen. Wir können nur redlich sagen, daß nichts direkt rausklingelt. Ich bin deshalb froh, daß nicht noch diese Geschichte rausposaunt wurde, der Lebensstandard würde für jedermann um tausend Mark steigen.

Ist die Angst der Brandenburger vor Berliner Politikern nicht berechtigt? Da hat man häufig den Eindruck, das Hinterland wird nicht mitgedacht.

Das ist in Berlin unterschiedlich. Es gibt dort eine Reihe von Politikern, die einen großen Teil ihres Lebens in der Insellage Westberlin zugebracht haben. Bei denen bricht das Denken an der früheren Mauer ab. Da ist noch ein erheblicher Lernprozeß nötig. Aber es gibt viele, die aus westdeutschen Flächenstaaten nach Berlin gezogen sind und sich in die hiesige Situation hineindenken können. Mit denen, da bin ich sicher, läßt sich gut arbeiten.

Was antworten Sie denn auf die Ängste der Brandenburger?

Die Angst ist ja zum Teil auch auf die alte Erfahrung mit der Hauptstadt der DDR zurückzuführen. Ostberlin wurde ja geradezu in einer unanständigen Art und Weise priviligiert, ob man nun Waschmaschinen frei kaufen konnte oder Salami oder die Handwerker dorthin abgezogen wurden. Das sitzt ganz tief drin. Hinzu kommt sicherlich ein sogenannter Urreflex der Landbevölkerung gegenüber den Städtern. Manche politische Bemerkungen aus Berlin, etwa die Stadt würde im roten Meer versinken, löst abweisende Haltungen aus. Hinzu kommt ein starkes Ruhebedürfnis. Wir haben hier seit der Wende sieben Jahre lang Wirbel gehabt, alles hat sich geändert, man hat gerade noch so seinen Namen behalten ...

Und nun kommen Sie und sorgen weiter für Wirbel ...

Ja, aber mit einem großen Unterschied: Die anderen Veränderungen kamen über uns, da mußte man irgendwie durch. Jetzt kann man eine eigenständige Entscheidung treffen, hat die Möglichkeit mitzuwirken, also den Wirbel selbst auszulösen. Was ich unterschätzt habe, ist die Wiederkehr des Brandenburg-Bewußtseins. Diese wiederentdeckte Identität, daran hält man sich fest, weil man so viel verloren hat. Die Hymne vom roten Adler wird ja mittlerweile überall gesungen, wahrscheinlich eines schönen Tages noch in der Kirche. Und dann kommt der Stolpe, der uns das alles immer eingeredet hat und sagt: Jetzt machen wir was ganz anderes.

„Äußerungen mit verheerender Wirkung“

Sie touren durchs Land, die Querschüsse aber sind deutlich zu hören. Was empfinden Sie bei jenem Satz des Berliner CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky, nach der Fusion müßte noch manche sozialistische Wärmestube ausgefegt werden?

Da überlege ich mir: Sagt der das absichtlich oder denkt der sich nichts dabei? Vielleicht will er seiner Zielgruppe Mut machen, nach dem Motto: Wir kriegen das schon hin. Auf der anderen Seite müßte er ja auch wissen, daß er der PDS damit keine besseren Vorlagen liefern könnte. Diese Art Äußerungen haben in Brandenburg eine verheerende Wirkung.

Verstehen Sie einen Westberliner, der sich fürchtet, in einem roten Meer Brandenburg zu versinken?

Wir werden noch Jahre mit dem Ost-West-Problem zu tun haben. Die Hauptfrage nach der Fusion wird sein, wie stark wird die SPD sein, wie stark andere progressive Kräfte und die Konservativen sein. Wenn der 5. Mai gelaufen ist, fängt am 6. Mai der Wahlkampf für die ersten gemeinsamen Landtagswahlen an.

Ist es Kleinmut der Menschen, nicht wieder was Neues denken zu müssen nach all diesen Veränderungen oder kommt die Fusionsabstimmung nicht zu einem Zeitpunkt, wo die Politik viel an Glaubwürdigkeit verloren hat?

Ich würde nicht von Kleinmut sprechen, sondern von Skepsis. Wo ist der Kern in der Politik, dem man vertrauen kann? Ich beobachte, daß die Menschen bei uns bei allgemeinen Fusionsparolen – etwa wir werden größer, haben mehr Gewicht im Land – abschalten. Wenn aber Bauunternehmer sagen, die Möglichkeiten in einem Land seien größer, weil die Teilhabe an dem größeren Investitionskuchen besser sind, dann wird zugehört.

Was passiert, wenn die Volksabstimmung scheitert? Wird sie dann innerhalb einer kürzeren Frist wiederholt?

Das wird schwer sein. Unsere Rechtskonstruktion läuft ja darauf hinaus, das der Staatsvertrag damit gescheitert wäre. Dann ist zunächst einmal Schadensbegrenzung angesagt. Gesetzt den Fall, es scheitert an Brandenburg, wird man das wohl als Berlinfeindlichkeit auslegen. Man wird auch Diskussionen auf der Bundesebene aushalten müssen. Ich kann mir schon die Namen vorstellen, die im Falle eines Scheiterns sagen: Die haben's ja offenbar nicht nötig. Ganz abgesehen davon, daß bundesweit der Eindruck entstehen würde, die Brandenburger hielten es mit der PDS.

Würden Sie das als persönliche Niederlage empfinden?

Ja.

Interview: Gerd Nowakoswki/

Severin Weiland