: Oder und Neiße – die Flüsse des Todes
■ 1995 ertranken mindestens acht Flüchtlinge an der deutsch-polnischen Grenze
Berlin (taz) – Eine Bulgarin ist beim Versuch, unbehelligt die deutsch-polnische Grenze zu passieren, in der Oder ertrunken. Ein Angler fand die Tote am vergangenen Mittwoch in der Uferzone am neuen Klärwerk in Frankfurt/ Oder.
Bei der Frau wurden, eingenäht in eine Jacke, bulgarische Dokumente gefunden. Die Ertrunkene habe offensichtlich seit Wochen in dem Grenzfluß getrieben, erklärte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Petra Marx.
Die Tote ist offenbar ein Opfer der deutschen Abschiebepolitik. Nach Informationen des Flüchtlingsrats Brandenburg soll die illegale Grenzgängerin vor einiger Zeit aus Deutschland abgeschoben worden sein. „Dafür gibt es tatsächlich Anhaltspunkte“, sagte die Staatsanwältin. Welche konkreten Anhaltspunkte sie meint, wollte sie mit Hinweis auf laufende Ermittlungen nicht sagen. Ob die Ertrunkene zvor als abgelehnte Asylbewerberin oder direkt an der Grenze nach Polen zurückgeschoben worden war, mochte sie nicht sagen. Die Frau ist nicht die erste, die auf der Flucht in einem der Grenzflüsse ertrank. 1994 waren in Oder und Neiße insgesamt 19 Flüchtlinge ertrunken, im vergangenen Jahr nach Recherchen der Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration acht. Darunter waren außer zwei jungen Pakistanis und einem Rumänen, fünf weitere illegale Grenzgänger, deren Identität nicht geklärt werden konnte, weil die Ertrunkenen oft wochenlang im Wasser getrieben hatten. Für die Behörden stehen die Schuldigen der tragischen Todesfälle fest: Die „Schlepper“ treiben die Flüchtlinge rücksichtslos in den Tod, lautet die Erklärung des Grenzschutzamtes Frankfurt an der Oder. Die Neiße weise gefährliche Untiefen auf. Laut ihren Angaben haben BGS und Zoll 1995 insgesamt zehn Wasserleichen aus Oder und Neiße geborgen.
Die Bundesregierung hat offenbar nur ein geringes Aufklärungsinteresse: Sie wies in der vergangenen Woche eine parlamentarische Anfrage der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke nach Flüchtlingen, die ihren Versuch, illegal nach Deutschland zu gelangen, mit dem Leben bezahlten, mit knappem Bescheid zurück. Bei den seit 1993 in den Grenzflüssen Ertrunkenen handele es sich nicht um Flüchtlinge. „Die Flüchtlingseigenschaft im rechtlichen Sinne liegt nur bei Personen vor, die die Voraussetzungen der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen, was in der Regel erst im Prüfungsverfahren – in der Bundesrepublik Deutschland durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge – festzustellen ist.“ Martin Rapp
[Dafür gedenkt sie am 13. August aber wieder der Opfer der DDR- Mauerschützen. d.sin]
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