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2 Arme, 2 Beine und 1 Ball

In Holland setzte eine Fußballspielerin per Gericht durch, daß sie mit den Jungs um die nationale Jugend-Meisterschaft spielen darf  ■ Aus Groningen Bernd Müllender

1:1 steht es, und das ist zu wenig. Lauthals treibt ein Betreuer sein Team nach vorn: „Wijder, Jongens! Wijder!“ Auf der Höhe der Zeit ist er damit nicht; schließlich ist einer der „Jongens“, die Rückennummer 2, gar keiner: Nicole Delies heißt sie, ist 15 und spielt im Mittelfeld der männlichen B1-Jugend des GVAV Rapiditas in Groningen. „Sie hat zwei Arme, zwei Beine und tritt damit gegen einen Ball. Das wollte ihr der Verband verbieten. Wir haben geklagt. Und gewonnen. Das ist schon die ganze Geschichte.“ Diese Kurzversion erzählt Joop Top (43), der penningmeester (zu deutsch: Schatzmeister) von Rapiditas.

Vergangenes Jahr hatte der niederländische Fußballverband KNVB Nicoles Mitwirken untersagt: Eine Frau im Männerteam sei statutenwidrig. Erlaubt ist dies allenfalls in leistungsschwächeren Kreisligen oder bis zur C-Jugend (bis 14). Dort kicken heute einige hundert holländische Mädchen in Jungenelfen. Nicole war eine davon. Plötzlich sollte, weil sie die Altersgrenze erreicht hatte, alles vorbei sein. Das Zivilgericht in Utrecht untersagte die lebenslange Sperre. Nicht verfangen konnten die männerphantasievollen Einwände des Verbandes von angeblichen Problemen beim Umkleiden und Duschen. Schließlich, so der Richter, gebe es überall genug Kabinen, in denen sich alle Nicoles des Landes umziehen könnten.

Grundsätzlich wurde der KNVB bei folgender Schreckensvision: Womöglich treffe Nicole Delies bald auf Mannschaften der berühmten Fußballinternate von Ajax und Feyenoord. Und bei denen müsse Top-Leistung gelernt werden: „Man kann die Jongens doch nicht gegen Meisjes spielen lassen, da halten die sich doch unbewußt zurück.“ Ist das so? Die Antwort gibt Nicole Delies jeden Samstag auf dem Platz. In den Zweikämpfen mit ihrem kräftigen, untersetzten Gegenspieler geht die junge Frau mit dem blonden Zopf durchaus robust zur Sache. Wie der Kontrahent auch. Zweimal muß der Schiedsrichter eingreifen – Nicole hat das Tackling übertrieben. Er entscheidet auf Foul und Freistoß.

Sie ist nicht der Star ihres Teams, das immerhin im oberen Drittel einer der drei niederländischen Landesligen steht. Aber sie spielt gut mit und fußballtaktisch eine durchaus wichtige Rolle. Nicole Delies bewacht, mit Hingabe und sehr erfolgreich, im defensiven Mittelfeld den gegnerischen Mannschaftskapitän. Der hat, ohne Zweifel Nicoles Verdienst, fast keine Ballkontakte. Auffällig, daß sie Freistöße schießt, manchmal kurze Anweisungen gibt und Aufmunterungen – alles Kennzeichen einer gewissen Autorität in der Elf oder zumindest des Respekts der anderen.

Mit Nicole Delies ein Gespräch zu führen, ist allerdings ähnlich schwierig wie ein Dribbling gegen sie auf dem Platz. Ihre Tochter sei eben „eine Nicht-Sprecherin“, sagt Mutter Menka, „keine Rednerin“, nennt es Joop Top. Das liegt an ihrem introvertierten Wesen und daran, daß es schon so viele versucht haben: Sie ist die Medien einfach satt. Und sie ist eben erst 15. Immerhin: Daß die Nationalmannschaft ihr großes Ziel sei, ist der zurückhaltenden Nicole mit dem freundlichen, offenen Gesicht schon zu entlocken. Gerade erst war sie bei einem nationalen Sichtungslehrgang. „Wenn alles klappt“, wolle sie „Profi werden, vielleicht in den USA.“ Alternative wäre ein Sportstudium an der Uni. Und der Trainerschein später. Eine Landsfrau, berichtet Nicole noch, habe gerade einen gutdotierten Vertrag in Japan unterschrieben; die sei eine Art Vorbild, ja schon. Dann bittet sie schüchtern um Freigabe von allen weiteren Fragewünschen: Eine Schulfreundin habe Geburtstag, sie müsse noch schnell ein Geschenk kaufen. Und weg ist sie.

Über 40 Interviewwünsche, erzählt Vereinsmanager Joop Top, habe es kurz nach dem Gerichtsentscheid gegeben. Dutzende Medienmenschen tummelten sich am Spielfeldrand beim ersten Spiel nach dem Urteil. „Und dann hat Nicole auch noch gegen die Latte geschossen, fast ihr erstes Tor der Saison. Was dann erst los gewesen wäre...“ Nicole reichte es auch so: „Laßt mich doch in Ruhe mit den ganzen Medien.“

Was sollte Nicole auch immer erzählen: Daß sie seit ihrem siebten Lebensjahr kickt, daß ihre Familie damals extra ganz in die Nähe des Groninger Sportparks Starkenborgh gezogen sei; daß sie immer, auch im Verein, mit Jungs spielte, eben mit gleich guten Gegnern und Mitspielern, weil das mit mindertalentierten Mädchen nicht ging; und daß, na ja, jetzt glücklicherweise alles wieder geklärt ist. Fertig – die ganze Geschichte eben. Einverstanden war Nicole nach anfänglichem Zögern mit dem Fototermin in Amsterdam für das „Voetbal Magazine“. Einen feschen schwarzen Fummel trägt sie, ist auf kokett zurechtgeschminkt und lächelt einem, etwas lasziv dahingeräkelt, leicht bemüht entgegen. Auf der nächsten Reportage- Seite sieht man die wahre Nicole Delies, in Trikot und in Aktion.

Nein, Spaß gemacht habe ihr der Auftritt wirklich nicht, sagt Vater Roel, Postbeamter in Groningen. Aber: „Es sollte mit den Bildern eben verdeutlicht werden, daß Mädchen, die Fußball spielen, ganz normale Frauen sind, und daß unter Fußballspielern auch ganz normale Mädchen sein können.“ Wobei das mit dem „ganz normal“ noch einen Hintersinn hat, wie Nicoles Vater ungefragt betont. Fußballspielerinnen haftet, in Deutschland wie auch in den Niederlanden, das Image von Lesben an. Die Schätzungen aktiver Kickerinnen hierzulande gehen von 20 bis 50 Prozent aus. Und Roel Delies weiß von einer Frauschaft in der Umgebung, „da spielen nur Lesben zusammen“. Was ja völlig in Ordnung sei, nur für seine Tochter gelte das nicht. Und das solle dann auch jeder wissen. Gelegentlich, betont er, schaue sie auch außerhalb des Rasens durchaus nach Jungs. Ansonsten sitzt Nicole zuHause an ihrem PC, spielt Tennis und trainiert mindestens dreimal die Woche. Mehr denn je muß sie sich um ihre Schulaufgaben kümmern. Die Noten am Gymnasium sind „seit dem Theater im Winter“ merklich zurückgegangen, klagt Vater Roel. Und: „Sie schläft manchmal sehr schlecht.“

Sicher, sagt Clubmanager Joop Top, sei das Thema Emanzipation „der eigentliche Anlaß für die Klage gewesen“, weil Nicole wegen ihres Geschlechts „wie selbstverständlich ausgeschlossen“ werden sollte. „Nur haben wir uns nicht getraut, vor Gericht ausdrücklich mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu argumentieren, sondern lieber formal.“

Mit Mädchen fühlt sich Nicole unterfordert

Der Grund: Nationales und europäisches Recht verbieten zwar jedwede Benachteiligung, allerdings nicht mehr, sagt Top, „wenn die Unterschiede zu offensichtlich sind“. Und da hätte das Gericht sagen können, Männer- und Frauenfußball seien von der Physis und vom Leistungsniveau her zwei verschiedene Paar Schuhe.

Nicoles Mutter, beruflich am Groninger Stadttheater für die Betreuung der KünstlerInnen zuständig, ist das egal: „Ein bißchen ist Nicole schon ein Symbol für Emanzipation.“ Die meisten Kommentare sahen das ähnlich. „Es gab Gratulation und Aufmunterung aus allen Vereinen“, sagt Joop Top. Der KNVB schickte Nicole zwei Tage nach dem Urteil einen Blumenstrauß samt Glückwunschschreiben. Eine Woche später folgte dem Sportsgeist der Kampfgeist: Widerspruch, Berufung. Die unterlegenen Fußballoberen wollen nicht einsehen, daß ein Zivilgericht in die Verbandsautonomie eingreifen darf – und schon gar nicht wegen einer Frau im Männerbund Fußball.

Immerhin: Joop Top berichtet von weiteren Frauen, die durch das Nicole-Urteil ermutigt worden seien. Der Verband ist in der Defensive. Er sagt: Das Urteil gilt nur für die B-Jugend. Nächstes Jahr spielt Nicole bei den A-JuniorInnen. „Dann geht es juristisch eben weiter“, sagt Joop Top. Der Richter hatte in seinem Urteil davon gesprochen, jede und jeder müsse „da spielen dürfen, wie es seinen oder ihren Fähigkeiten entspricht“. „Eine solche Definition schließt dann eben“, sagt Joop Top augenzwinkernd, „womöglich auch die Teilnahme bei Ajax Amsterdam in der Champions League ein.“

Der KNVB wüßte eine bessere Lösung, auch für Nicole. Gleich im Eingang des Vereinsheimes von Rapiditas hängt ein Werbeposter des Verbandes: Über dem Bild einer energischen, blondmähnigen Frau in schwarzer Kluft steht geschrieben: „Schiedsrichter gesucht“. Auch in den Niederlanden herrscht eben eklatanter Mangel an Unparteiischen. Und wo die Not so groß ist, ist man sogar bereit, Frauen zu nehmen. Um den Männerkick reibungslos fortzuführen.

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