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Drogen hinter Schloß und Riegel

Ob Besucher, Freigänger oder Justizvollzugsbeamte: sie alle sind potentielle Drogenkuriere. Die Justizverwaltung kapituliert, ein Gefängnisarzt gibt Tips bei Überdosis  ■ Von Barbara Bollwahn

Adressen von Justizvollzugsbeamten sind Gold wert. Jedoch nicht, um sich nach der Entlassung für erlittene Pein hinter Gittern zu revanchieren. Dort, wo der Beamte wohnt, steht auch sein Auto. Und ist dieses kaputt und wird in der Werkstatt der Justizvollzugsanstalt Tegel repariert, ist der Drogendeal schon fast perfekt. Denn jetzt muß nur noch jemand gefunden werden, der den sogenannten Stoff an der Unterseite des Autos versteckt und dieses dann – ganz offiziell – die Gefängnistore passiert.

Der Phantasie, Drogen in den Knast zu schmuggeln, sind keine Grenzen gesetzt. Das weiß auch Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD). Nach ihrer Einschätzung gelangt ein Großteil der Drogen über Freigänger und Insassen, die Urlaub haben, in die Anstalten. „Die werden von drinnen unter Druck gesetzt“, so Peschel-Gutzeit. Weil viele im Knast einen enormen Schuldenberg anhäufen, verweigert kaum jemand diese „Bitte“.

Einen „erheblichen Teil“ der Drogen bringen nach Ansicht der Senatorin aber auch Besucher in die Vollzugsanstalt. Dabei würden sämtliche Körperöffnungen zum Einsatz kommen. „Wir sind nicht berechtigt, Gäste zu röntgen“, so Peschel-Gutzeit. Auch über die Anstaltskost würden Drogen in die Haftanstalten gelangen. Den Mythos vom mit Drogen gefüllten Tennisball, der über die Anstaltsmauern fliegt, kann Peschel-Gutzeit indes nur belächeln: „Dann müßte der ganze Hof voller Bälle sein.“

Die Justizsenatorin kann nicht einmal für die Bediensteten ihre Hand ins Feuer legen: „Ich kann nicht ausschließen, daß Bedienstete Drogen reinschmuggeln.“ Gerade deshalb sei eine „systematische Aufdeckung unmöglich“, so die Senatorin. Ende letzten Jahres wurde ein Justizbeamter der JVA Tegel zu 34 Monaten Haft verurteilt, weil er Heroin in den Knast geschmuggelt hatte.

Wie aussichtslos die Lage ist, zeigt ein Appell des Chefarztes der Berliner Vollzugsanstalten in einer Ausgabe des Lichtblicks, der Gefangenenzeitung in Tegel. Darin wendet sich Dr. Rex an „Leute, die es nicht lassen können“ und gibt Verhaltensratschläge bei Heroin- Überdosis. Rex warnt „hilfsbereite Leidensgenossen“ eindringlich vor der „Wiederbelebungsmaßnahme“ mit konzentrierter Kochsalzlösung. Diese sei nicht nur wirkungslos, sondern auch gefährlich. Statt dessen sollte „rasch spezifisch eingegriffen“ werden: künstliche Beatmung, Herzdruckmassage, ärztliche Verabreichung eines Gegenmittels. Zum Schluß appelliert Dr. Rex an „die Helfer, die wirklich helfen wollen“: „Ich hoffe eindringlich, daß mit dem Unsinn der Kochsalzinjektion aufgehört und statt dessen schleunigst mit gezielten Angaben Alarm geschlagen wird.“

Alarmierend sind in der Tat die Angaben, die die Gesamtinsassenvertretung der Justizvollzugsanstalt Tegel (JVA) in ihrem letzten Jahresbericht vorlegt, in dem sie ein erschreckendes Fazit der Trennung in sogenannte „drogenfreie“ und „drogenbelastete“ Bereiche zieht. Nach Angaben von Insassen der JVA Tegel haben mehr als 40 Prozent der etwa 1.500 Gefangenen „eine aktenkundige Drogenproblematik“. Die Dunkelziffer liege jedoch weit höher. Je nach Teilanstaltsbereich würden bis zu 70 Prozent der Insassen mehr oder weniger regelmäßig Heroin konsumieren. Selbst unter den Insassen, die in den sogenannten „drogenfreien“ Neubauten untergebracht sind, seien 20 Prozent drogenabhängig. „Die sind besser getarnt“, meint ein Insassenvertreter. Denn würden Reste von Haschisch oder Heroin in ihrem Urin gefunden, müßten sie in einen der Altbauten zurück, wo sie mit Sanktionen zu rechnen haben. Nichtkonsumenten würden unter Druck gesetzt, ihren „sauberen Urin“ zu verkaufen.

Nach Ansicht von Renate Künast, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, müsse man sich angesichts der Möglichkeiten, die das Strafgesetzbuch und das Betäubungsmittelgesetz bieten, die Frage stellen, ob Drogenabhängige überhaupt ins Gefängnis gehören. Wegen der schlechten Arbeitslage, nur etwa jeder zweite Gefangene ist beschäftigt, seien die Insassen „hochmotiviert, 24 Stunden am Tag darüber nachzudenken, wie sie an Drogen kommen“. Künast hält eine Aufstockung der derzeit etwa einhundert Plätze in der Drogentherapiestation in Tegel für wenig sinnvoll: „Eine Therapie hinter Gefängnismauern ist mit Zweifeln zu genießen“, meint Künast, die selbst einmal als Sozialarbeiterin in Tegel gearbeitet hat.

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