: Das ungleiche Paar
■ Senderehe bei, nach, statt oder wegen der Länderehe? ORB und SFB wollen zusammengehen - weil sie müssen
Sie ist schlank und stolz darauf. Er ist seit Jahren auf Diät und immer noch zu fett. Sie kokettiert mit junger Unschuld. Er denkt oft an alte Tage. Irgendwann werden sie heiraten müssen.
Ja, ich will...
Ein ungleiches Paar: Die „schlanke Anstalt“ ORB und der am ARD- Finanzausgleich hängende SFB, der aus den Tagen der Mauer Schuldenberg, Sparzwang und verflossene Bedeutung mit sich herumträgt. Fast ein Fünftel seines Personals hat der Sender seit 1991 abgebaut, doch es sind mit 1.150 Beschäftigten immer noch zuviel. Der kleine ORB mit seinen 650 Stellen sagt, nur schuldenfrei nehme er den Bräutigam und: noch schlanker. Für eine Fusion stellt er sich ein Stellenverhältnis von 900 zu 600 vor.
Eben haben die Potsdamer dem Berliner Sender ein Stückchen seiner ARD-Verpflichtungen abgenommen: Produktionen fürs erste Programm in Höhe von rund drei Millionen Mark. Vor der Intendantentagung, auf der die Einigung in der letzten Woche zustande kam, hatte der SFB laut um seine Zukunft gebangt. So haben die wackligen ARD-Finanzverhandlungen beiden Sendern den Zwang zum Zusammengehen noch einmal vor Augen geführt. Am nächsten Tag sprach ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer von der Idee einer „Konföderation“.
Nun blickt man in beiden Häusern auf das nächste Datum: die Abstimmung über die Länderfusion am Sonntag. Doch ORB und SFB wissen, daß sie auch dann nicht allein bleiben können, wenn die Länderehe noch platzt. Es ist ungewiß, wie der mit 150 Millionen Mark verschuldete Sender sein Versprechen erreichen kann, nach 1999 ohne Zuwendungen von außen auszukommen. Und der ORB, obgleich wirtschaftlich gesund, muß wichtige Projekte schieben. Einen Satellitenplatz für sein Drittes, den er dringend braucht, weil es in der Mark nur wenige Kabelhaushalte, aber viele Satellitenschüsseln gibt, kann er nicht bezahlen. Seit ein paar Wochen sprechen ORB und SFB nun über einen gemeinsamen Platz im All, von dem aus man ein zusammengeschnippeltes Drittes Programm abstrahlen will. Von einem wirklich gemeinsamen Fernsehen will man in beiden Häusern nichts wissen: In den Konzepten sind zwei Dritte Programme auch aus einer künftigen Anstalt vorgesehen. Man sieht den Zwang zur Fusion, aber mehr als den Zwang sieht man nicht. Das setzt allen Fusionsplanungen Grenzen. Ändern soll sich möglichst wenig. Solche Signale schickt man in beiden Häusern vor allem nach innen: Ihre jeweiligen Mitarbeiter mögen einander ebensowenig wie die Intendanten. In Potsdam ist man stolz auf die Effektivität des Eigensinns. An der Berliner Masurenallee wiederum geht die Angst um, daß es nun Abwicklungsopfer West geben wird.
...so bleiben...,
Wie überall im früheren West-Berlin leidet man am Verlust der politischen Alimentierung, der dem SFB gleich dreifachen Liebesentzug brachte. Ohne teilungsbedingtes Geld, ohne die alten politischen Förderer aus der CDU, die nun die private Konkurrenz protegieren, und in einem Markt, der sich wandelte wie nirgends sonst, mit immer weniger Hörern suchte man überall Halt, nur nicht beim ORB. Die Potsdamer sind Intendant Lojewski zu rot und in ihrer ganzen Art suspekt. Immer noch würde er, vorbei an der Geographie, viel lieber mit dem schwarzen MDR zusammengehen oder die Leipziger zumindest doch mit einbinden. Eine Idee, die vergangene Woche auch einmal mehr aus der Berliner Senatskanzlei geäußert wurde.
Nicht von ungefähr malträtiert man im Märkischen die Metaphern der Familiengründung, wenn es ans Fusionieren geht. Haben doch, seit die bürgerliche Ehe im 19. Jahrhundert den Status eines rein ökonomischen Zweckbündnisses verlor, immer wieder dumme Gefühle die schönsten Allianzen verhagelt: Bindungsängste, Mitgiftneid, alte Eifersüchteleien.
Was wird, wenn die „große“ Fusion eben daran scheitert? Einiges spricht dafür, daß die Senderfusion politisch gerade dann forciert wird. „Daß sich die Politiker in uns eine Ersatzbefriedigung suchen“, fürchtet der ORB-Rundfunkratsvorsitzende Lutz Borgmann. Schon um nicht noch einmal erst von den Regierungen zur Kooperation gezwungen zu werden, wie 1992, als beide Länder in einem Staatsvertrag die Sender auf gemeinsame Radioprogramme festlegten, fügt man sich langsam dem Notwendigen. Doch ein gemeinsames Auftreten in der ARD, wie es Rosenbauer vorschwebt, schien auch noch sehr fern, als die Intendanten letzte Woche über das Geld verhandelten. Nun fordert der ORB-Chef, über „gemeinsame Einrichtungen“ einen „Nukleus“ des neuen Senders zu schaffen.
Einen solchen kann man gegenüber des Berliner Funkturms besichtigen, wo sich flach ein Glaspavillon aus dem undurchsichtigen SFB-Turm schiebt. Hier wird „Inforadio“ produziert, das erste wirkliche Gemeinschaftsprogramm. Mitarbeiter beider Sender arbeiten problemlos zusammen, wie Vizechef Werner Voigt berichtet: „Das einzige“, sagt er, „was wir spüren, ist, daß wir es mit zwei Bürokratien zu tun haben.“ Inforadio wirkt wie ein Versprechen auf die Zukunft. Die Hierarchien sind flach, und die volldigitale Technik ist so modern, daß sie auch nach neun Monaten Sendebetrieb noch manchmal hakt. Die Zukunft aus den surrenden Kästen kann keiner allein bezahlen.
...wie ich bin!
Gerade am Zugang zu den neuen Techniken könnte sich auch die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entscheiden. Während ORB und SFB noch um die Zahl der künftigen Kulturradioprogramme feilschen, würden dann Züge davonrauschen. Andere, die längst im Glück der Zweckehe leben, würden dem gestikulierenden Paar auf dem Bahnsteig nur höhnisch nachwinken. Lutz Meier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen