Wende im Fall Wienand?

CDU-Politiker Jenninger überraschend als Zeuge geladen. Aussage könnte Anklage erschüttern  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – Im Spionageverfahren gegen den früheren SPD-Spitzenpolitiker Karl Wienand gab es gestern eine überraschende Entwicklung. Verantwortlich dafür ist der frühere Bundestagspräsident und Staatsminister im Kanzleramt, Philipp Jenninger. Auf Antrag der Wienand- Verteidiger unterbrach der 4. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts kurz nach Prozeßbeginn die Plädoyers und lud statt dessen den derzeit in Italien als Diplomat tätigen CDU-Politiker als Zeugen.

Nach Darstellung von Wienands Anwalts, Rudolf Karras, hatte sich Jenniger in den letzten Tagen mit dem Hinweis gemeldet, er könne bezeugen, daß der frühere SPD-Fraktionschef Herbert Wehner ihm noch 1986 von den Kontakten Wienands zu dem in Düsseldorf ebenfalls Angeklagten Exoffizier des DDR-Geheimdienstes, Alfred Völkel, berichtet habe.

Jenninger war ab 1982 Staatsminister im Bundeskanzleramt und dort auch zuständig für die bilateralen Beziehungen zur damaligen DDR.

Glaubt man dem Beweisantrag von Verteidiger Karras, dann kann Jenninger bezeugen, daß Wehner ihm „mehrmals“ von seinem vertraulichen Kontakt zum DDR-Ministerrat berichtet und als Mittelsmänner Wienand und Völkel genannt habe. Für Wienand käme eine solche Aussage einer Entlastung erster Klasse nah.

Die Bundesanwaltschaft hatte gegen den 69jährigen Angeklagten in ihrem Plädoyer eine dreijährige Haftstrafe beantragt und ihm vorgeworfen, sich jahrelang konspirativ mit Völkel getroffen und wissentlich für die DDR spioniert zu haben.

Wienands Darstellung, er sei im Auftrag von Wehner tätig gewesen, habe von dem Spionagehintergrund seines Gesprächspartners nichts gewußt und sei lediglich abgeschöpft worden, glauben die Ankläger ihm nicht. Diese Behauptung galt den Anklägern bisher als eine Aussage „ohne tatsächliche Substanz“, weil sich niemand fand, der sie stützte.

Auch die im Prozeß gehörte alte Garde der SPD-Spitzenpolitiker, von Helmut Schmidt bis Egon Bahr, wußte weder etwas von einem Auftrag Wehners an Wienand, noch kannten sie den Namen Völkel. Sollte Jenninger wie behauptet aussagen, dann könnte sich Wienands bittere Klage vor Gericht, „meine Tragik ist, daß alle Zeugen tot sind“, doch noch als falsch erweisen.

Bundesanwalt Joachim Lampe warf den Wienand-Anwälten am Freitag „Prozeßverschleppung“ vor. Ihnen gehe es nur darum, eine „Urteilsfindung zu verhindern“. Gleichwohl trat Lampe dem Beweisantrag nicht entgegen. Der Text enthalte aber „geschichtsfälschende Unterstellungen“, denn Herbert Wehner werde dadurch „in eine Mittäterschaft“ hineingezogen.

Darauf reagierte der langjährige Wehner-Vertraute Wienand mit einem empörten Aufschrei: „Das ist eine Sauerei.“