: Niedersachsen setzt auf den Gewöhnungseffekt
■ Aber bevor der eintritt, will die BI Lüchow-Dannenberg den politischen Preis für die Einlagerung atomaren Mülls in Gorleben noch mal gehörig in die Höhe treiben
Der Gorleben-Widerstand hat sich für diesen zweiten Castor- Transport ein klares und durchaus erreichbares Ziel gesetzt. „Wir wollen den politischen und finanziellen Preis für den Transport in das Zwischenlager noch einmal in die Höhe treiben“, so betonte BI- Sprecher Wolfgang Ehmke gestern. Wenn schon die Einlagerung von abgebrannten Brennelementen in der an den Seiten offenen Halle im Gartower Forst nicht ver-, sondern nur behindert werden könne, dann solle das Ganze für den Staat zumindest teuer oder am Ende gar unbezahlbar werden.
Zumindest für den nahenden Transport aus Frankreich scheint diese Rechnung aufzugehen. Zum Durchprügeln der Glaskokillen aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague hält das niedersächsische Innenministerium ein ähnlich großes Polizeiaufgebot bereit wie beim ersten Gorleben-Transport vor einem Jahr. 15.000 Polizisten und Grenzschützer sollen in den Castor-Einsatz ziehen. Aus allen Bundesländern, die nicht auf dem eigenen Territorium Castor-Bahnstrecken bewachen müssen, hat Niedersachsen wieder Polizeikräfte für den Einsatz im Landkreis Lüchow- Dannenberg angefordert.
Für dieses Aufgebot hat Niedersachsen schon im vergangenen Jahr 28 Millionen Mark an tatsächlichen Mehrkosten zahlen müssen. Auf gar 55 Millionen kommt man, wenn man nicht nur Niedersachsens Zahlungen an die Polizei anderer Bundesländer, die Aufwendungen für Überstunden, Transport und Logistik zählt, sondern auch die normalen Gehälter der eingesetzten niedersächsischen Beamten in Rechnung stellt.
Verbindliche Kriterien für ein Endlager gibt es nicht
Das Innenministerium in Hannover setzt allerdings auf den Gewöhnungseffekt. Der Staatssekretär im Innenministerium, Claus Henning Schapper, verwies jüngst auf die Protestaktionen gegen die allerersten Transporte schwach- und mittelaktiven Mülls in jenes Gorlebener Faßlager, das an die Zwischenlagerhalle anschließt. Auch diese Atommülltransporte ins Wendland mußte die Polizei im Jahre 1984 durchprügeln, auch wenn am damaligen Tag X nur rund 2.000 AKW-Gegner auf der Straße waren – weit weniger also als beim ersten Castor.
Auch wenn heute manchmal mehr Radioaktivität als vorgesehen aus den Gorlebener Fässern mit schwach- und mittelaktiven Müll ausgast – behindert werden die Transporte in das Faßlager längst nicht mehr. Auf eine solche Normalisierung vertraut das Innenministerium auch bei den Castor-Transporten. Bevor ein dritter Castor-Transport terminiert wird, will Staatssekretär Schapper erst einmal den jetzt laufenden Polizeieinsatz auswerten – „wieviel Polizeibeamte tatsächlich notwendig waren“.
Wer hat den längeren Atem, lautet also die für die Castor- Transporte entscheidende Frage. Bei den Behältern mit abgebrannten Brennelementen oder in Glas eingeschmolzenen Abfällen geht es nicht nur vom Inventar her um viel mehr als bei jenen Fässern mit Atommüll, die nun schon seit einem Dutzend Jahren in Gorleben lagern. An den Castor-Transporten entscheidet sich endgültig, ob das Wendland nach 19 Jahren des Widerstandes gegen seine Atomanlagen letztlich doch noch zum Atommüllzentrum wird. Ob das „Nukleare Entsorgungszentrum“, das CDU-Ministerpräsident Ernst Albrecht 1977 dem Landkreis Lüchow-Dannenberg bescheren wollte, doch noch Wirklichkeit wird.
In der durch Außenluft gekühlten Lagerhalle droht nicht nur eine Langzeitzwischenlagerung des hochradioaktiven Mülls für die nächsten 40 Jahre. Die Neutronenstrahlung, die von abgebrannten Brennelementen ausgeht, ist nach Meinung des Strahlenbiologen Horst Kuni um den Faktor 50 bis 300 gefährlicher als bisher angenommen. Um ein auch nur teilweise gefülltes Castor-Lager herum wird man also die Strahlenbelastung messen müssen. Und mit jeden Meßwert wird sich die Frage stellen, wohin mit dem hochradioaktiven Müll?
Die Antwort der AKW-Industrie lautet: nach nebenan in den Salzstock. Ein sich füllendes Zwischenlager – ein Kokillen-Castor enthält ein Zehntel des Inventars eines ganzen AKWs – erhöht automatisch den Druck, den Atommüll doch noch in den löchrigen Gorlebener Salzstock zu versenken. Dieser Salzstock jedoch „kann das Wasser nicht halten“, wie etwa BI- Sprecher Ehmke sagt. Wo mächtiges Salz sein soll, bohren die Endlagerbauer immer wieder Lauge an. Dem geplanten Endlager fehlt auch die notwendige zweite Barriere zur Erdoberfläche. Auch hat der Salzstock kein geschlossenes Deckgebirge, das die tieferen Grundwasserschichten von denen an der Oberfläche abtrennt. Sogar die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, die ein Gutachten zu alternativen Endlagerstandorten erstellt hat, gibt unumwunden zu, daß die Gorlebener Geologie ihren Endlagerkriterien nicht standgehalten habe. Doch verbindliche, politisch festgeschriebene Kriterien für ein Endlager gibt es bis heute nicht. Schon seit acht Jahren verkünden die inzwischen beim Bundesamt für Strahlenschutz ansässigen Endlagerplaner, falls die Modellrechnung ein Überschreiten der Strahlenschutzwerte ergebe, werde man das unterirdische Endlager durch technische Einbauten verstärken. Ein Bunker unter Tage ist eben auch möglich.
Die BI Lüchow-Dannenberg gibt sich gelassen, obwohl es für sie beim Castor-Lager ums Ganze geht: „Wenn jedes Jahr nur ein Behälter ins Zwischenlager durchkommt, dann haben wir immerhin 420 Jahre Zeit“, so Wolfgang Ehmke. Schließlich habe die Halle insgesamt 420 Stellplätze für die Behälter mit dem hochradioaktiven Müll.
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