: Wenn der Fernseher flimmert
Bei der Prüfung der elektromagnetischen Verträglichkeit bleibt der Mensch außen vor ■ Von Ute Naumann
Was bedeutet eigentlich das CE- Zeichen auf meiner neuen elektrischen Zahnbürste? Das werden sich viele Verbraucher in diesem Jahr schon gefragt haben. Mit dem „Communautés Européenes“-Zeichen weist der Hersteller elektrotechnischer Geräte die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) des Produktes nach. Seit 1992 schreibt das deutsche EMV- Gesetz – aus einer EU-Richtlinie von 1989 hervorgegangen – diese Kennzeichnung zwingend vor. Die eingeräumte Übergangsfrist ist zum 1. Januar dieses Jahres abgelaufen, dennoch sucht man bis heute auf vielen Geräten vergeblich nach dem Zeichen.
Wer nun glaubt, er sei bei den gekennzeichneten Produkten vor gesundheitsschädlichem Elektrosmog geschützt, der irrt, denn mit elektromagnetischer Verträglichkeit ist nur gemeint, daß sich Geräte nicht gegenseitig durch ihre elektromagnetischen Felder stören und ihre Funktion beeinträchtigt wird. Der Fernseher soll ja schließlich nicht flimmern, wenn sich nebenan jemand die Haare mit dem Fön trocknet.
Das Gesetz betrifft nicht die möglichen gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen. Eine sogenannte elektromagnetische Verträglichkeit zur Umwelt (EMVU) ist derzeit in der Diskussion, wird aber noch eine Weile auf sich warten lassen. Für die Hersteller, besonders für kleine Betriebe, ergibt sich nun das Problem, daß die Prüfungen mit großem technischen Aufwand und erheblichen Kosten verbunden sind. Um Abhilfe zu schaffen, gibt es EMV-Labors, die die Messungen vornehmen.
Vor kurzem erst wurde von der Technischen Überwachung (TÜ) Hessen in Kassel ein solches eröffnet. Von der Decke und den Wänden des Absorberraums, dem Herzen des Labors, ragen futuristisch anmutende, hellblaue Schaumstoffpyramiden in den Raum. Sie sollen Reflexionen elektromagnetischer Wellen verhindern. Stahlwände schirmen den Raum ab, denn für die exakte Messung von Stromemission und Störfestigkeit ist eine neutrale Umgebung Voraussetzung.
Im Interesse der Sicherheit ist es wichtig, diese gegenseitige Beeinflussung zu messen und zu reduzieren. Doch welche gesundheitlichen Folgen Elektrosmog hat, ist immer noch zu wenig erforscht. Daß er den menschlichen Organismus beeinflußt, ist unumstritten, nur über den Grad der Beeinträchtigung und die Grenzwerte herrscht Uneinigkeit.
Dringt hochfrequente Strahlung in den Körper ein, kommt es zur Aufwärmung des Gewebes. Da die Temperatursensoren in der Haut liegen, kann eine Erwärmung innerhalb des Körpers nicht registriert werden, so daß auch keine Anregung der Schweißdrüsen erfolgt. Eine Überhitzung kann die Folge sein. Zudem können nichtthermische Effekte, wie die Veränderung der Durchlässigkeit der Zellmembranen, eintreten.
Hochfrequenzfelder schwächen das Immunsystem und greifen in den Hormonhaushalt ein. Beispielsweise Mikrowellenherde, Sendemasten und Mobiltelefone erzeugen derartige Felder. Über die Auswirkungen von niederfrequenten Feldern (bis etwa 60 Hertz), wie sie um Hochspannungsleitungen und Haushaltsgeräte auftreten, gibt es seit Jahren Kontroversen. Der „Merkelgrenzwert“, der sich an der Empfehlung der Internationalen Strahlenschutzvereinigung (IRPA) und der deutschen Strahlenschutzkommission (SSK) orientiert, beträgt 100 Mikrotesla. Das ist etwa das 500fache von dem, was US-amerikanische Experten für zumutbar erachten.
Verschiedene Studien haben gezeigt, daß schon bei einem Mikrotesla die Melatoninproduktion der Zirbeldrüse im Gehirn beeinflußt werden kann. Melatonin steuert vermutlich den Alterungsprozeß und hemmt bestimmte Hormone, die unter Umständen krebsfördernd sein können. Zum gleichen Ergebnis wie etwa ein Dutzend der heute international bekanntesten Studien kam die erste umfassende deutsche Untersuchung. Die vor wenigen Wochen veröffentlichten Ergebnisse bestätigen, daß für Kinder, die in der Nähe von Hochspannungsleitungen oder Erdkabeln wohnen, möglicherweise ein erhöhtes Krebsrisiko besteht.
Professor Jörg Michaelis, Direktor für Medizinstatistik in Mainz und Mitautor, mußte jedoch einräumen, daß die Untersuchungen statistisch nicht abgesichert sind. In einem bisher nur in Auszügen bekanntgewordenen Berichtsentwurf eines Komitees des US-Strahlenschutzrates, National Council on Radiation Protection and Measurement (NCRP), kamen die Experten zu dem Schluß, daß selbst schwache elektromagnetische Felder zu Krebs-, Herz- sowie Hirnerkrankungen führen können. Sogar das menschliche Immun- und Fortpflanzungssystem könne beeinflußt werden.
In Deutschland wird die Elektrosmog-Forschung hauptsächlich von industrienahen Organisationen, wie Energieversorgungsunternehmen oder der Forschungsgemeinschaft Funk, finanziert. Diese war es auch, die im Januar drei Studien vorlegte, die keine Hinweise auf negative Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung beim Mobilfunk fand. Daran glauben die Mitglieder der landesweit etwa 200 Bürgerinitiativen nicht. Aus Angst vor Gesundheitsschäden machen sie mobil gegen den Mobilfunk. Notfalls auch vor Gericht. Ob sie Erfolg haben werden, hängt davon ab, ob sich die Erkenntnis durchsetzt, daß Elektrosmog Umweltverschmutzung mit schädigenden Folgen für den Menschen ist. Die Konsequenz wären weitreichende Veränderungen für jeden einzelnen sowie für Industrie und Wirtschaft.
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