: Aus nach dem Studium
■ Die Italienerin Adriana del Bono (27), Betriebswirtin, bündelt heute Karotten
Wenn es für Adriana del Bono ein Lebensmotto gab, so war es: „Nur raus aus diesem Dreck“. Einziges Kind, noch dazu ein Mädchen – Schande für den Vater, der es weder zum Facharbeiter noch zu einem Sohn gebracht hatte – und ohne die Mutter, eine angelernte Näherin, die früh gestorben war, gab es für die 27jährige Adriana nur die Alternative: „Verkuppelt werden an einen Reichen, der mich heiratet oder aushält. Oder Zähne zusammenbeißen und durch.“
Das „Durch“ war zuerst ein Abschluß der Mittelschule – in Italien obligatorisch vor dem Besuch weiterbildender Anstalten. Danach „Ragioneria“, die Fachschule für Buchhaltung und Geschäftsführung, nach deren Abschluß man sogar einige Fächer an der Universität studieren kann. Adriana büffelte und büffelte, erreichte die Hochschulreife, studierte Betriebswirtschaft. „Und dann kam das große Aus.“
Zurückgeworfen „auf die Fragen der früheren Jugend, nämlich ob ich mich in irgendeine Bank hineinvögele oder als Sekretärin den Chef auf Reisen begleite“, stand sie mit ihrem Examen da und hatte „nichts, nichts, nichts“.
Sie hebt die Hände und ballt ihre Fäuste. „Ein paar Aushilfsjobs in einer Espressobar, dann zwei Monate in einer Eisenwarenhandlung, wo der Sohn bei einem Unfall umgekommen war.“ Versuche, aus der Provinz in die Stadt zu wechseln. In Rom eineinhalb Monate in einer kleinen Boutique, dann wieder Entlassung – die Nichte des Chefs wollte den Posten: „Das ist in Italien leider immer so. Wo ein Platz frei wird, kommen die ,raccomandati‘ hin, Leute, die Beziehungen haben. Wer aus proletarischem Hause kommt, hat seine Beziehungen aber fast immer nur zu anderen Arbeitslosen.“
Monatelang dann ohne jegliche Arbeit und nicht einmal in der offiziellen Liste der zu Vermittelnden eingetragen. Dazu hätte Adriana zuerst entweder ein reguläres Arbeitsverhältnis vorweisen oder aber zwei Jahre warten müssen. Erst dann gilt man als „wirklich“ arbeitslos – was bei einer Anstellung erhebliche Erleichterungen für den Arbeitgeber bedeutet; er braucht ein halbes Jahr lang keine Abgaben zu bezahlen.
Mit dieser Warteschlangenmethode hat sie inzwischen eine Tätigkeit gefunden, eine Stelle, auf der sie immerhin acht Monate im Jahr arbeiten kann, mit Aussicht auf erneute Einstellung im Jahr danach: in den Treibhäusern der Umgebung. Da muß sie entweder Tomaten oder Zucchini ernten oder in der Weiterverarbeitung am Fließband Karotten oder Rettiche bündeln, in Kistchen verpacken und stapeln. Zehn Stunden am Tag, auch sonntags. „Und dafür“, sagt sie, „habe ich Betriebswirtschaft studiert.“
Es klingt nicht einmal bitter, eher verwundert. Immerhin: „Prostituiert habe ich mich nie.“ Das einzige Problem: „Ich bin inzwischen innerlich so verunsichert, daß ich mich nun, obwohl ich einen wirklich lieben Freund habe, nicht einmal mehr zu heiraten traue – aus Angst, ich könnte es nur um meiner Versorgung willen tun und dann doch wieder im Dreck landen.“ Werner Raith, Rom
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