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Berlin macht seine Grenzen dicht

■ Nach dem Nein zur Länderehe: Berliner SPD-Politiker wollen Stadtflucht nach Brandenburg verhindern. PDS wertet Abstimmungsergebnis als ihren „größten Erfolg“. Wahlanalyse zeigt: Die Jungen stimmten gegen die Alten

Berlin (taz) – Berlin ist beleidigt: Einen Tag nach der klaren Absage der Brandenburger an eine Länderehe drängen Berliner SPD-Politiker auf einen harten Kurs gegen das Nachbarland. Der Fraktionsvorsitzende Klaus Böger und der Landesvorsitzende Detlef Dzembritzki sagten, Berlin habe jetzt „vorrangig eigene Interessen“ zu verfolgen. Der Senat müsse „Vorkehrungen treffen, um der Stadtflucht von privaten Haushalten und der Wirtschaft entgegenzuwirken“.

Am Sonntag war die Fusion am Nein der Brandenburger gescheitert, die mit 62,7 Prozent gegen die Länderehe votierten, während sich die Berliner mit 53,4 Prozent knapp für den Zusammenschluß aussprachen. Wie diese Ergebnisse zu werten sind, darüber stritten gestern die Parteien in beiden Ländern. PDS-Chef Lothar Bisky wertete die satte Mehrheit in Brandenburg und die mit 54,7 Prozent knappe Mehrheit im Ostteil Berlins gegen die Fusion als bisher „größten politischen Erfolg“ seiner Partei. Die Ostdeutschen seien widerständiger geworden und folgten den Regierenden nicht so stark wie bisher. Die anderen Parteien müßten lernen, „daß es gar nicht so einfach ist, die PDS zu überspringen.“ Die CDU-Opposition forderte indirekt sogar den Rücktritt des Brandenburger Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD). Er habe den Ausgang der Volksabstimmung nicht mit seinem politischen Schicksal verknüpft, warf Brandenburgs CDU-Generalsekretär Thomas Klein dem Regierungschef vor. Die Brandenburger SPD versuchte dagegen wiederum, das schlechte Ergebnis der Volksabstimmung für sich zu funktionalisieren. Potsdams SPD-Fraktionschef Birthler war sich sicher: „Die Fusion ist auch gescheitert, weil es eine hohe Zustimmung zu Stolpe gibt.“ Die Menschen seien zufrieden mit Stolpes Politik und wollten „kein Risiko“ mit Politikern aus Berlin eingehen.

Die Analyse der Wahlergebnisse wiederum brachte einen Aspekt zutage, den bislang keiner der Fusionsbefürworter und -gegner beachtet hat: Über alle Partei-, Landes- und ehemaligen Staatsgrenzen hinweg stimmte eine überwältigende Mehrheit der unter 30jährigen gegen die Fusion. Bei den über 60jährigen waren die Fusionsgegner dagegen länderübergreifend in der Minderheit.

Eine Debatte über die Neugliederung der Bundesrepublik dürfte sich mit dem Fortbestand von Berlin und Brandenburg nun vollständig erledigt haben. Die Kleinstaaten Bremen und das Saarland waren gestern jedenfalls erleichtert über den Ausgang der Volksabstimmung. Der saarländische SPD-Vorsitzende Reinhard Klimmt wartete allerdings mit einem interessanten Vorschlag auf: Wenn sich das Saarland mit anderen Ländern zusammenschließe, dann mit Luxemburg und Lothringen, weil in diesen drei Ländern die Industrieregionen nahtlos ineinander übergingen. Der einzige, der gestern noch an eine Debatte über den Sinn und Unsinn von Kleinstaaterei glaubte, war Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU): „In dieser Sache wurde das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ Dirk Wildt

Tagesthema Seite 3, Debatte Seite 10

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