Fahrlässige Tötung?

■ Ein SEK-Beamter steht vor Gericht, weil er einen Kurden erschossen hat

Hannover (taz) – Beinahe zwei Jahre nach dem Todesschuß auf den 16jährigen Kurden Halim Dener beginnt heute in Celle der Prozeß gegen den Schützen, den jetzt 30jährigen Polizeiobermeister Klaus T. Durch einen Schuß in den Rücken aus nächster Nähe hatte der Beamte eines zivilen Sondereinsatzkommandos am späten Abend des 30. Juni 1994 den Jugendlichen getötet, den er vorher beim Plakatieren für die Nationale Befreiungsfront Kurdistans beobachtet hatte. Angeklagt ist der SEK-Beamte nur wegen fahrlässiger Tötung, weil er nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Hannover gegen die Dienstvorschriften für den Umgang mit Waffen verstoßen hat. Die Anklage folgt der Aussage des Polizisten, nach der sich der Schuß versehentlich aus dessen Dienstrevolver gelöst haben soll, als sich das bereits am Boden liegende Opfer aus einem Polizeigriff befreite.

Die zweite Strafkammer des Landgerichts Hannover hat den Prozeß in einen hochgesicherten Saal des Oberlandesgerichts Celle verlegt. Die Bremer Rechtsanwälte Hans-Eberhard Schulz und Rolf Gössner, die die Eltern als Nebenkläger vertreten, wollen heute die Verlegung des Prozesses nach Hannover beantragen und sich auch gegen die Einschränkung der Öffentlichkeit durch die extremen Sicherheitsvorkehrungen wenden. Schon jetzt ist die Durchsuchung aller Prozeßbesucher vorgesehen.

„Ob der SEK-Beamte vorsätzlich geschossen hat, etwa um Halim Dener an der Flucht zu hindern, ist in der Hauptverhandlung noch zu klären“, sagte gestern Rechtsanwalt Rolf Gössner. Für einen vorsätzlichen Schuß, bei dem der Tod des Opfer zumindest in Kauf genommen wurde, sprechen nach Ansicht des Anwalts noch immer zahlreiche Indizien: So hat der Dienstrevolver des SEK-Beamten, wenn er nicht für einen Schuß vorgespannt wird, einen Abzugswiderstand von 4,3 Kilogramm. Nach der Anklage soll der SEK-Beamten den Schuß dennoch durch eine Reflexbewegung ausgelöst haben. Rechtsanwalt Gössner verweist auch darauf, daß Polizeibeamte in ihrer Ausbildung darauf trainiert werden, ihre Dienstwaffe stets mit ausgestreckten Zeigefinger anzufassen. An den Abzug darf der Zeigefinger nur, wenn es tatsächlich ums Schießen geht. Der SEK-Beamte behauptet aber, daß er die zuvor herausgefallene Waffe nur in sein Holster zurückstecken wollte, als der Schuß fiel. Die Nebenklage kritisiert auch die Behandlung der Zeugen, die die Staatsanwaltschaft immer wieder nachvernommen hatte, Dabei widersprachen vor allem die ersten Vernehmungsergebnisse noch stark der Tatversion des Angeklagten. Der SEK-Beamte durfte sich nach der Tat die Hände waschen, wodurch Schmauchspuren vernichtet wurden. Erstmals vernommen wurde er vier Stunden nach der Tat. Vorher hatte er ausführlich Gelegenheit, mit zwei seiner Vorgesetzten und dem SEK-Dienststellenleiter über den Schuß und seine Aussage zu sprechen. Jürgen Voges