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Sexuelle Gewalt ohne Strafe

■ Tadić-Prozeß wirkt sich auf künftige Verfahren aus

Die erste Entscheidung des Kriegsverbrechertribunals im Prozeß gegen Dušan Tadić ist ein empfindlicher Rückschlag. Zum einen für die Frau, deren Vergewaltigung Tadić in der ursprünglichen Anklageschrift zur Last gelegt wurde. Sie hätte ein Anrecht darauf gehabt, daß ihre Aussage ebenso wie die der fünf Tatzeuginnen von den TribunalrichterInnen gehört, geprüft und bewertet wird. Dieses Recht hätte natürlich auch der Angeklagte gehabt, für den bis zu einer etwaigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt.

Zum anderen dürfte die Entscheidung über dieses erste Verfahren hinaus erhebliche Auswirkungen auf künftige Prozesse vor dem Haager Tribunal haben – falls diese jemals stattfinden. Denn fast allen 57 Männern, gegen die das Tribunal bislang Anklage erhoben hat, werden schwere sexuelle Gewaltverbrechen zur Last gelegt. Nach dem internen Ermittlungsstand des Tribunals ist dies auch für fast alle künftigen Anklageerhebungen zu erwarten.

Das ist nicht zufällig. Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und grausamste Formen sexueller Folter waren eines der häufigsten Merkmale vor allem des Krieges in Bosnien. Begangen wurden sie von „Einzeltätern“ auf eigenen Antrieb hin oder von ganzen Männerhorden auf Befehl, systematisch und als Teil der ethnischen Vertreibungskampagnen. Opfer waren fast ausschließlich Frauen, in einigen wenigen Fällen auch Männer.

In auffälligem Mißverhältnis zu der Publizität, die diese Verbrechen gefunden haben, standen und stehen die Bemühungen um ihre Aufklärung und Ahndung. Insbesondere die frühen Vorschläge von Frauenrechtsorganisationen, für ZeugInnen und Opfer Schutzprogramme zu erstellen, blieben beim UNO-Sicherheitsrat und bei den Regierungen der westeuropäischen Flüchtlingsaufnahmeländer weitgehend ohne Beachtung. Dem Tribunal wurden die Ressourcen und die Kooperation verweigert, um in Europa rechtzeitig ein grenzüberschreitendes, effektives Schutzprogramm einzurichten. Unter diesen Umständen ist zu befürchten, daß auch in künftigen Prozessen vor dem Den Haager Tribunal der Anklagepunkt „sexuelle Gewalt“ fallengelassen wird und damit für künftige kriegerische Konflikte kein Abschreckungseffekt entsteht. Andreas Zumach

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