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Netzkultur von unten?

■ In Köln diskutierten Nachkommen der Frankfurter Schule und Industriemanager über die Perspektiven des Internet

Zeitgeistkritiker sehen unser Privatleben in einem Raum verschwinden, der schon vor der Haustür beginnt. Unsichtbare digitale Städte und Dörfer, Infocities, Multimediaprojekte, aber auch digitale Bürgerinformationssysteme breiten sich auch in Deutschland aus. Was sind sie, und was müßten sie sein? Darüber sollte in Köln zwei Tage lang nachgedacht werden. Auf Einladung der Ökologiestiftung NRW und der Heinrich-Böll-Stiftung traf grüne Kommunalpolitik auf Frankfurter Schule, Kölner Medienkunst auf Bremer Informationswissenschaft. Eine Gelsenkirchener Bibliothekarin teilte sich das Podium mit einem Düsseldorfer Industriekapitän.

Warum also in die Ferne schweifen, wenn das Internet zwischen Würzburg und Meppen, zwischen Aachen und Potsdam organisiert wird? Die Tagung versprach Erfahrungsberichte von AktivistInnen, die fernab der Messen, Hochglanzbroschüren arbeiten. Leider enttäuschte bereits das erste Referat solche Erwartungen. Manu Luksch vom Medienlabor München versuchte sich in ihrem Essay „Telepolis – vom Verschwinden der Stadt“, als datenreisende Netzflaneuse... Mit mäßigem Erfolg. Nette Impressionen, die, so oder so ähnlich, auch aus einem „aspekte extra“-Off-Kommentar hätten stammen können.

Mit einem bedrohlichen „Jetzt wird's hier etwas komplexer“ stürmte dann Klaus Ronneburger, Frankfurter Sozialwissenschaftler und Mitarbeiter des legendären „Instituts für Sozialforschung“, das Podium. Daß zunächst keine Sitzgelegenheit für ihn zur Verfügung stand, war sicher nur Zufall. Zielstrebig ging der Stadttheoretiker auf Crashkurs zum Mythos von einer besseren Welt unter der Hoheit globaler Kommunikation. Er setzte dem Bild vom „demokratischen Netz“, das Menschen und Orte einander näherbringt, eine eher pessimistische Zukunftsvision entgegen. Im Modell einer „Headquarter-Ökonomie“, das die Zentren intensiviert und die Peripherien abwertet, werden soziale Ungleichheiten verstärkt statt abgebaut. Ronneburgers zentrale These lautete: digitale Kommunikation vergrößert und beschleunigt den Kapitalumlauf, und „auf der elektronischen Ebene wird das Kapital so dünnflüssig wie Quecksilber“. Die Stadt wird dann, streng nach funktionellen Gesichtspunkten, in repräsentative, produzierende und konsumtive Sektoren aufgeteilt. Stadtrenovierung und Festivalisierung verdrängen soziale Randgruppen. Die Bewohnerschaft differenziert sich nach ihrer jeweiligen Bedeutung für das (neue) Kommunikationssystem.

Die Stadt als Konglomerat aus Yuppies und TaxifahrerInnen, aus Programmieren und Strippenziehen in postmodernen Kabelschächten. Das klang gar nicht gut, und einigen ZuhörerInnen zerstoben, ob dieser grauen Aussichten, die bunten Seifenblasen vom Leben und Arbeiten auf den Datenautobahnen der Republik.

Kinderhütende Journalistinnen im Eigenheim und auf der grünen Wiese flanierende Chefärzte... Alles Lüge? Als Mittler zwischen Netzeuphorie und Netzpessimismus ergriff Herbert Kubicek, Informatiker aus Bremen und zur Zeit vielbefragter Vertreter einer praxisorientierten Kommunikationsforschung, das Wort. Nicht jeder wissenschaftliche Hype müsse ja gleich zu gesellschaftlicher Realität gerinnen. Als Beleg präsentierte Kubicek eine Zeitungsschlagzeile aus den zwanziger Jahren, die eine bevorstehende Fernsehära im Telefonkabel voraussagte. In pragmatischer Weise nahm der Bremer Professor dann den Begriff „Multimedia“ auseinander, zerlegte ihn in seine Einzelteile und prüfte die sozialen und technischen Optionen. „Wenn das digitale Fernsehen eine Datenautobahn ist, dann ist das Internet eine Datenwasserleitung.“ Das Netz „an sich“, warnte Kubicek, sei allerdings sowenig dazu geeignet, soziale Ungleichheiten auszugleichen, Bildungslücken zu schließen und Demokratie herzustellen, wie zum Beispiel der Buchdruck. Selbst Jahrhunderte nach der Einführung dieses Massenmediums seien Elend und Unterdrückung nicht aus der lesenden und schreibenden Welt verschwunden. Kubicek forderte „die Politik“ auf, gestaltend in die technische Entwicklung einzugreifen und die „informationelle Grundversorgung“ sicherzustellen: Der „heiße Draht zum Ortsamt ist wichtiger als die E-Mail ins Weiße Haus“. Die Regierung habe für die entsprechenden Ausbildungsprogramme zu sorgen, und öffentliche Institutionen seien an die Netze anzubinden.

Nach der „Demokratie im Netz“ fahndeten der Berliner Medienwissenschaftler Martin Recke und der grüne Telekommunikationsexperte Volker Schütte. Gegenstand ihrer Untersuchung waren die Multimedia-Pilotprojekte zwischen Stuttgart und Berlin. In einem engagierten Rundumschlag zerpflückte Recke die Medienpolitik der Regierung als „falsche Antworten auf falsche Fragen“. Vier zentrale Knackpunkte glaubt Recke bei den Bonner Multimediaplänen ausgemacht zu haben: das Mißverständnis, Medienpolitik sei automatisch Postpolitik, den Mythos vom Frequenzüberfluß, die Diktatur der Einwegkommunikation und eine überkommene Methode der Programmkontrolle durch die Landesmedienanstalten. Als Mittel zur Demokratisierung der Multimedianetze verlangt Recke Kontrollgremien nach dem Muster der US-amerikanischen, staatsfernen Aufsichtsbehörde FCC und die Intensivierung der Mehrwegkommunikation.

Der grüne Telekommunikationsexperte Volker Schütte arbeitet in Bonn bei der Bundestagsfraktion und gleichzeitig an der Netzanbindung kommunaler Einheiten. In einer detaillierten Beschreibung der bundesdeutschen Multimediaprojekte schilderte er, wie Parteipolitik und interne Grabenkämpfe („SPD-Festredner gegen knochenharte Postpolitiker“) Einfluß auf die Weichenstellung deutscher Mediaprojekte nehmen. Bei der Vernetzung der Republik und der Planung der multimedialen Zukunft lägen Bundesinteressen und kommunale Interessen zuweilen „arg über Kreuz“. Zumindest den Grünen gehe es um eine Stärkung lokaler Netze, um die Anbindung von Schulen, Bibliotheken und soziokultureller Zentren und um den Datenschutz im Netz.

Die Kosten einer solchen „informationellen Grundversorgung“ bezifferte Schütte auf etwa 20 Milliarden Mark. Als potentielle Partner dieser Strukturmaßnahme können sich die Grünen auch ihre alten Kontrahenten aus der Energiewirtschaft vorstellen. Energiekonzerne, wie zum Beispiel die RWE, die jetzt breitbeinig in den Multimediabereich einsteigen, verfügen über „schnurlose“, kabelunabhängige, vor allem aber postunabhängige Übertragungsverfahren, und das wiederum reizt grüne Kommunalpolitiker.

Kleine Arbeitsgruppen versuchten nachmittags unter den Stichorten „Digitale Dörfer – Digitale Stadt“, „Medienkompetenz“ oder „Kommunale Netze“ das Bild genauer zu zeichnen. Besonders spannungsreich geriet dabei die Präsentation des europaweit größten Multimedia-Pilotprojektes „Infocity NRW“. Im Glasfasernetz des Veba-Konzerns sollen Hochschulen, Firmen (Otto-Versand), Banken (West-LB) und Rundfunkveranstalter (WDR und CTL) hängen. Teleshopping, Telebanking, Telelearning, Online-Design heißen die versprochenen Dienstleistungen. In der Ecke bleiben dann allerdings Bürgerinitiativen und BürgerInnennetze. „Das wäre eher eine Utopie – oder Stoff für eine Dissertation“, findet der Infocity-Geschäftsführer. Gunter Becker

(kauss@zfn.uni-bremen.de)

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