: Von Leuten, die auszogen...
In der Serra de Monchique, den Bergen im südlichen Portugal, haben viele Deutsche eine neue, sonnige Heimat gefunden. Ein Insider-Bericht über die Träume und die Lebenswirklichkeit der alternativen Glückssucher ■ Von Hans-Jürgen Hoerder
Wenn der Pulk Landrover mit den grölenden Touristen Staubfahnen hinter sich herziehend den Schotterweg zur Picotta hochdonnert, entlockt es Jürgen, den wir Turf nennen, nur ein Lächeln. „Diese Touris. Sie meinen“, sagt er, der hier schon seit elf Jahren lebt, „eine ganz besondere Tour in die Berge der Algarve geboten zu bekommen. Doch in dieser Weise wird sich ihnen die Schönheit und Besonderheit der einmaligen Natur nicht erschließen.“ Er meint die Serra de Monchique, die die Bergwelt der Foja und der Picota einschließt. 25 Kilometer nördlich der Hafenstadt Portimao steigen die zwei höchsten Berge der Algarve bis auf 902 Meter empor.
Sicher, ein Ausflug aus den touristischen Einheitsghettos in die Serra lohnt sich allemal. Beispielsweise in die Tiefen des kommerziellen Einerleis von Albufeira. Essen zum Einheitspreis bis zum Abwinken inklusive brasilianischer Dance-Show und Animation. Was bleibt schon von einem Land übrig, wenn in fünf verschiedenen Sprachen steht: „Wir sprechen...“ Heraus aus diesem Urlaubstrott rettet scheinbar nur das Besondere, das Teure: o paradiso.
Wie alle Paradiese ist auch die Serra de Monchique stark gefährdet. Bisher war nur wanderfreudigen Zeitgenossen der zweithöchste Berg der Algarve, die Picota, vorbehalten. Seitdem die Camera de Monchique die Pfade hoch zum Picota befestigt, gelangen auch Autotouristen fast bis hinauf zum 774 Meter hohen Gipfel des Picota. Schade, auch hier, wo von einem ständig besetzten, mit Funk ausgerüsteten Feuerwachturm über die sensible Natur gewacht wird, finden sich unterhalb des felsigen Gipfels die Reste der Verpackungsindustrie. Ein provisorisch aufgestelltes Schild neben dem wilden Müllberg mahnt, die Umwelt nicht zu zerstören. Wir, die wir 1986 nach der Katastrophe von Tschernobyl im weit entfernten Portugal einen Fluchtpunkt suchten, werden längst von der Wirklichkeit eingeholt: ständig brennende Müllhalden in der Serra de Monchique. Sondermüll wird unkontrolliert abgeladen. Turf weiß, daß auf der Müllhalde zwischen Silves und Portimao auch schwach radioaktives Material seine letzte Lagerstätte findet.
Waren das noch Zeiten der Hoffnung, als junge Offiziere die Nachfolger des Diktators Salasar, das Caetano-Regime, am 25. April 1974 unblutig aus ihrer Herrschaft vertrieben! Alles sollte neu werden. Sicher, diese „Nelkenrevolution“ hatte dem Land viele Umbrüche gebracht: Großgrundbesitzer wie die Familien Mascarenhas und Moreiras, die früher Monchique beherrschten, mußten ihren Besitz an die Quinteros, die Landarbeiter, abgeben. Vom gepachteten Land brauchten fortan nicht mehr 70 Prozent des Ertrages, sondern nur noch 30 Prozent abgeführt werden. Nach der Landreform mußten die ehemaligen Pächter aber bis zu 20 Stunden am Tag schuften, um die hohen Kredite abzulösen.
Heute gieren die fortschrittsgläubigen Erben der Revolution nach dem Geld, das sie durch den Verkauf der Ländereien ihrer Großeltern erzielen können. Die 81jährige Donna Maria sinniert: „Das Geld ist ein vergängliches Gut, Grund und Boden dagegen sind bleibende Werte.“
Bürgermeister Exelentissimo Senhor Carlos Tutta, wie hier die antiquiert wirkende Anrede lautet, tut alles, um mit EG-Mitteln dem Ort Monchique zumindest äußerlich ein für westeuropäische Augen wohlgefälliges Äußeres zu verleihen. Er läßt weiße Casas bauen. Neben Sozialwohnungen, die im Eiltempo hochgezogen wurden und deren Substanz recht mangelhaft ausgefallen ist, wie mir Jonny, der rührige Bauunternehmer, versichert. Nun, nach sechs Jahren Bauzeit ist die Umgestaltung des Dorfplatzes fast abgeschlossen.
Als Jonny, der eigentlich Diplom-Pädagoge ist, vor zwölf Jahren aus Marburg nach Portugal kam, versuchte er, mit Antiquitäten ins Geschäft zu kommen. In dieser Zeit lernte er Paula, seine heutige Lebensgefährtin kennen. Sie besaß das „Carioca“, ein kleines Restaurante in der Nähe des Dorfplatzes. Bekannt für seine phantasievolle Küche. Diese mußte den Umgestaltungsmaßnahmen weichen. Und weil o presidente, der Bürgermeister, vor den Wahlen noch schnell zahlreiche Straßen neu asphaltieren ließ, finden die Touristen auf ihren Ausflügen von der ausgedörrten Küste in die grünen Berge nur bequeme und schnelle Wege zu phantasielosen Einheitsrestaurants und Souvenirläden an der Strecke und auf dem Gipfel des Foja. Austauschbar. Eine einheitliche Welt. Übrig bleibt der herrliche Ausblick von hier oben runter zur Küste und ins Alentejo.
Für Jonny und seine portugiesische Lebensgefährtin brachte der Erlös aus dem Verkauf des Carioca einige Veränderungen ins Leben. Jonny hatte sich bereits ein neues Zuhause in Eigenleistung gebaut: ein Haus mit einem traumhaften Fernblick über die Hügel bis nach Portimao ans Meer. – Danach machte er den Bauabschluß und aus seinem Talent eine neue Profession: Er wurde Bauunternehmer.
An einheimischen Arbeitskräften und ausländischen Bauherren – vor allem deutschen – fehlt es bis heute nicht. Doch wie für die meisten Ausländer, die in Portugal ohne größeres Eigenkapital Fuß fassen wollen, ist auch für Jonny und Paula der Weg bis zur gesicherten Existenz mit viel Schweiß, Durchhaltevermögen und Unternehmungsgeist verbunden. Marktlücken sind zu entdecken, Pionierarbeit im klassischen Stil ist zu leisten. Frust bleibt nicht aus.
„Wer die Bequemlichkeit liebt, dem wird sich die Eigenart dieser Bergwelt nicht erschließen.“ Da ist diese besondere, an das subtropische Klima angepaßte Natur: Die sommerliche Trockenzeit bringt wahre Überlebenskünstler hervor. Flora und Fauna entfalten sich hier in den Bergen, wo in den Nischen selbst im Sommer reichlich Wasser vorhanden ist, mit einer ungewohnten Pfanzen-, Insekten- und Artenvielfalt. Mein Blick gleitet von der Terrasse über Korkeichen und Makronenbäume. Ausgesprochen gut ist das Quellwasser. Frühere Generationen haben in mühseliger Arbeit tiefe Stollen in die Berge gegraben, um an das kostbare Naß zu gelangen. Heute nehmen täglich viele Menschen weite Wege in Kauf, um sich von den Quellen an den Straßen in den Bergen Wasser zu zapfen. An der Küste schmeckt das Brunnenwasser zeitweise salzig. Niemand ahnte, daß durch die Tiefbohrungen im Zuge des gehobenen Wasseranspruchs auch in den Bergen das Wasser immer knapper wird. Aber die Brunnen und zahlreichen Talsperren, die Baragems, machten erst die Betonsilos und Feriensiedlungen an der Küste möglich.
Bauruinen an der Praia da Rocha künden von Fehlkalkulationen und verschandeln den einst malerischen Küstenstreifen. Salema, an der Südspitze der Algarve, galt einst unter Rucksacktouristen als heißer Tip. Wer heute in dieses ehemals verträumte Fischerdörfchen mit seinen einsamen Buchten kommt, wird seinen Augen nicht mehr trauen: Trotz zahlreicher eindeutiger Bauvorschriften verschandeln jetzt unansehnliche Betonklötze die Dorfmitte. Das Massenurlaubseinerlei vergewaltigt das Land. Doch Portugal hat die Devisen bitter nötig.
Im Rahmen einer Jugendbegegnungsmaßnahme lerne ich den neunzehnjährigen Philipp kennen. Er ist Portugiese, aber er lebt und arbeitet mit seiner Familie in Holland. Seinen Heimaturlaub konnte er nur mit größter Anstrengung finanzieren. „Der nach außen getragene Wohlstand der Portugiesen ist oft nur Fassade“, meint er. „Das Lohnniveau bewegt sich immer noch auf dem Stand von 1986, während die Preise so stark gestiegen sind, daß sich viele Portugiesen nicht einmal die teuren Lebensmittel leisten können.“
Zurück zum Picota und der Serra de Monchique. Turf und seine Frau Ekka haben sich den Herausforderungen des Berges gestellt. Als sie vor elf Jahren mit ihrem alten Mercedesbus in Monchique ankamen, wurden sie auf der Suche nach einem geeigneten Haus zunächst von einigen Einheimischen verschaukelt. Donna Maria bot ihnen schließlich für einen Spottpreis ihr Bauernhaus an. Mit Zucchinianbau versuchten sie zu überleben. Doch nach einem halben Jahr harter Arbeit übervorteilte sie der Großaufkäufer. Ekka fing an, Schmuck und Accessoires herzustellen. Über Jahre hin wurden gute Beziehungen zu Boutiquen aufgebaut, der Verkauf ihres Schmucks aus Halbedelsteinen, Spiegeln, Muscheln und Silberdraht lief vielversprechend an. Fortan konzentrierten sich Turf und Ekka, sich ganz auf diese Einnahmequelle. Eine kleine Werkstatt entstand, die Herstellungsweise wurde perfektioniert.
Dennoch blieb die Landwirtschaft. Sie dient der Selbstversorgung wie bei den meisten Familien hier in der Serra. Im Gegensatz zur Küste ist in den Bergen keine schnelle Mark zu machen. Man verdient an den Obst- und Gemüsestände, die die Straßen säumen, den zahllosen Souvenirläden, den kleinen Lebensmittelgeschäften und den Taskas, denkleinen Pinten. Großmütter und Großväter verbringen ihren Lebensabend als Statthalter des Nebenerwerbs an der Straße und den Souvenirläden.
Nicht alle, die hier Fuß fassen wollen, bringen wie Alfred, von Beruf Pharmazeut, oder Rudolf, der Arzt, oder Willy, der Betriebswirt, berufliche, qualifizierte Voraussetzungen mit. Profession oder sogar Kapital aus Deutschland machen sie von vornherein wirtschaftlich unabhängig. Ines und Uwe beispielsweise bewohnen seit einem knappen Jahr für 100 Mark im Monat ein Haus am Picota. 12 Volt Batteriestrom müssen fürs erste reichen, um in der Küche nachts Licht und Strom für das Radio zu liefern. Weitestgehende Eigenversorgung ist angesagt. Als Städter müssen sie den Umgang mit den natürlichen Ressourcen, der Wasserwirtschaft, die Kleinviehzucht und Techniken der Bevorratung ohne Strom lernen. Um nicht, wie in alten Häusern üblich, ein offenes Feuer im Haus zu haben und den Rauch durch die Dachziegel abziehen lassen zu müssen, kaufte Uwe zunächst einen einfachen Holz-/Kohleherd und bastelte einen Rauchabzug. Im vergangenen kalten Winter war die Küche der einzige beheizbare Raum im Haus. Die ersten Möbel zimmerte Uwe aus grobem Holz.
Ines hat inzwischen den Besitzer des Lebensmittelladens davon überzeugt, daß sie in seinem Laden Obst- und Gemüse aus ökologischem Anbau anbieten darf. Darüber hinaus entwirft sie T-Shirts mit abstrakten Bildern, die sie an Boutiquen losschlagen will. In fünf Monaten bekommt sie ihr zweites Kind. Mit der nötigen Gelassenheit sieht sie der Geburt entgegen: „Da ich nicht krankenversichert bin, stellen wir uns zur Not mit unserem Mercedes vor das Hospital, oder ich kriege mein Kind zu Hause, wenn alles gut läuft.“
Turf hat sein Haus in der Zwischenzeit mit Hilfe einer modernen Wind- und Solarenergieanlage energiewirtschaftlich unabhängig gemacht. Und Jonny baut mittlerweile an seinem fünften Haus. Während er das eine verkauft, baut er sich bereits zwei neue. „Die“, sagt er, „sind meine Rentenversicherung.“ Er setzt auf die Vermietung an deutsche Urlauber, die nach dem Motto reisen: Wer nur das Bequeme und Schnelle liebt, dem wird sich die Eigenart dieser Landschaft nicht erschließen.
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