: 200 Vietnamesen fliehen aus Lager
Hongkong und andere asiatische Staaten wollen die Boat people in ihre Heimat zurückschicken. Wer nicht freiwillig geht, wird deportiert. Das UNHCR hat angesichts anderer Krisen kein Geld ■ Von Jutta Lietsch
Vor Sonnenaufgang gelang gestern über 200 vietnamesischen Boat people die Flucht aus einem Hongkonger Internierungslager. Mehrere Gebäude des von hohen Stahl- und Stacheldrahtzäunen umgebenen Whitehead Detention Centre wurden angezündet und brannten völlig nieder. Fünfzehn Gefängniswärter, die von zurückgebliebenen Vietnamesen zunächst als Geiseln festgehalten worden waren, kamen nach vier Stunden wieder frei. Etwa hundert Insassen verschanzten sich auf dem Dach von Lagerbaracken und hielten SOS-Transparente hoch.
Polizisten beschossen das Camp mit Tränengas, während Hubschrauber mit Wasserbomben versuchten, die Feuer zu löschen. Noch Stunden später lagen Rauchwolken über dem Gelände.
Über 25 der Geflohenen, darunter auch Frauen und Kinder, wurden schnell wieder eingefangen – von Polizisten ebenso wie von Dorfbewohnern. Die anderen aber konnten sich offensichtlich in die nahe gelegenen großen Stadtbezirke durchschlagen. Whitehead liegt im ländlichen Norden Hongkongs, der an China angrenzt.
In der britischen Kolonie sitzen noch rund 18.000 vietnamesische Bootsflüchtlinge in scharf bewachten Lagern fest. Sie müssen damit rechnen, in Kürze wieder nach Vietnam zurückgeschickt zu werden. Sie gelten als Wirtschaftsflüchtlinge und haben daher keine Chance, von einem Drittland aufgenommen zu werden.
Ihre Lage wird immer verzweifelter: Bis Ende Juni, so haben die asiatischen Regierungen mit Zustimmung der UNO beschlossen, sollen über 30.000 vietnamesische Boat people wieder in ihrer Heimat sein, die derzeit noch in Lagern von Hongkong, Malaysia, Thailand und den Philippinen leben. Wer nicht freiwillig zurückgeht, wird zwangsweise deportiert. Das UNO-Flüchtlingswerk UNHCR hat erkennen lassen, daß es angesichts der aktuellen Flüchtlingskrisen in Afrika und Bosnien keine Mittel mehr für die VietnamesInnen übrig hat.
Die US-Regierung hat in den vergangenen Wochen versucht, die Camp-Insassen mit neuen Versprechungen zur freiwilligen Heimkehr zu überreden: Auch jene Ausreisewilligen sollen mit der „Resettlement Opportunity for Vietnamese Returnees“ nun eine Chance zur Umsiedlung ins ersehnte Amerika erhalten, welche die bislang existierenden US- Einreisebestimmungen nicht erfüllen konnten. Das waren vorwiegend Personen, die eine enge Zusammenarbeit mit den Amerikanern in der Zeit vor dem Sieg der nordvietnamesischen Kommunisten 1975 nachweisen konnten oder deren nahe Verwandte bereits in den USA leben.
Das neue Washingtoner Angebot hat aber in den Augen vieler Boat people einen entscheidenden Haken: Der Antrag muß in Vietnam gestellt werden, und zwar vor Ende Juni dieses Jahres. Wie groß ihre Aussicht auf Erfolg ist, kann ihren keiner sagen.
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