Das Abitur als Gesinnungsfrage erinnert an Berufsfverbote

■ Ein Neonazi vor der Reifeprüfung oder: Wie reagieren Hamburgs Schulen auf rechtsradikale Jugendliche?

In der Schule galt Jan Zobel als cooler Typ, der mit Handy über den Pausenhof flaniert. Im Unterricht hielt sich der Neonazi mit politischen Statements meist zurück, wie eine Mitschülerin, die ungenannt bleiben will, berichtet. Als Klassenclown brachte der Landesvorsitzende und Bundespressesprecher der „Jungen Nationaldemokraten“, der lange in Südafrika lebte, seine Kaffer-Witze an. Sie erinnert genau die „dummen Sprüche“, die der Nachwuchs-NPDler im Philosophie-Unterricht der Jahnschule riß, als die NS-Verbrechen in Au-schwitz Thema waren. Die Lehrenden hätten die rassistischen Äußerungen nie richtig ernst genommen, taten ihn eher als Querkopf ab, doch einige haben – kurz vorm Abi – ihre Befangenheit ausgedrückt, die es ihnen unmöglich mache, Zobels Reife zu prüfen.

Anfang des Jahres hatte die SchülerInnen- und StudentInnen-Gruppe „BASTA“, die sich dem Thema der NS-Vergangenheit widmet und der auch SchülerInnen der Eimsbütteler Gesamtschule angehören, Zobels Aktivitäten per Flugblatt öffentlich gemacht. 300 SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen trafen sich daraufhin zu einem Infoabend. „Sechs Jahre ging Jan Zobel in die Jahnschule, wieso hat man nicht schon früher reagiert“, fragt sich ein „BASTA“-Mitglied heute, und weder die Lehrenden noch die Schulleitung wollen darauf derzeit antworten.

„Deutsche Pädagogen tun sich schwer mit Rechtsradikalen“, versucht der Schulpsychologe Michael Grüner von der Schulbehörde das Nicht-Verhalten als allgemeines Phänomen zu deuten. Nicht kommentieren will er, daß LehrerInnen der Schulbehörde per Brief ihre Befangenheit erklärten. Zudem sei es natürlich schwierig, jemanden „juristisch einwandfrei auszugrenzen“, der selbst Ausgrenzungs-Ideologien verbreite.

Obwohl die GEW-Chefin Anna Ammonn „vollstes Verständnis“ für die LehreInnen hat, fühlt sie sich durch die Gesinnungsfrage an die Berufsverbote erinnert. Rechtlich sei es ohnehin ausgeschlossen, die LehrerInnen von ihrer Prü-fungspflicht zu befreien. Von den zehn Lehrenden, die sich gegenüber Zobel für befangen erklärt hatten, bleibt nur noch einer bei seiner Prüfungsverweigerung. Lenkt er beim heutigen Gespräch mit der Schulaufsicht nicht ein, drohen ihm disziplinarrechtliche Schritte.

Jürgen Schlalos, Rechtsextremismus-Experte der GEW, hält die Weigerung für falsch: „Damit wird ein neuer Märtyrer der Rechten geschaffen.“ Im Unterricht müßten rechtsorientierte SchülerInnen behandelt werden wie andere auch, nur ihre „braune Soße“ dürften sie nicht an der Schule verbreiten. Das Manko der Lehrpläne sieht Schlalos darin, das Thema Nationalsozialismus in Klasse 9 nur unter historischen Aspekten zu betrachten. Auf heutige rechtsradikale Strömungen einzugehen, bleibe den Lehrenden überlassen und finde deshalb meist nicht statt. Es sei nicht Aufgabe der Pädagogik SchülerInnen von falschen Überzeugungen abzubringen, was bei organisierten Neonazis ohnehin äußerst schwierig sei.

Die Erfahrung machte auch der Streetworker Lothar Knode mit Aussteigern aus der rechten Szene in Lohbrügge. Unerschütterlich sei das Weltbild geschulter Parteimitglieder. Ignorieren helfe da nicht, sondern nur inhaltliche Auseinandersetzung. Viele Jugendliche benutzten zwar Hakenkreuzschmierereien wegen garantierter Schockwirkung, bei einem Abiturienten sei wohl nicht mehr von pubertären Spinnereien auszugehen. Deshalb aber die Prüfung zu verweigern, hält auch er für falsch.

An der Gesamtschule Lohbrügge betreibt die Sozialpädagogin Christina Großmann das „Projekt: Soziales Lernen“. Als Christian Worch, der Gefolgsmann von Michael Kühnen, im Stadtteil für die – inzwischen verbotene – Nationale Liste (NL) agitierte, hatte sie es an der Schule auch mit gewalttätigen Jungvolkführern zu tun. „Mittlerweile haben die ihre Strategie geändert, geben sich unauffälliger, sei es in der Kleidung oder ihren Vorgehensweisen“, sagt sie. Um so wichtiger sei es, sensibler für unterschwellige rechte Sprüche zu sein, was für Lehrende ebenso wie für Eltern gelte. Das erfordere gute Kenntnisse der NS-Geschichte und neuer Strömungen und Vernetzungen – national wie international –, „sonst kommt man bei den Jugendlichen nicht durch“, weiß die Sozialpädagogin. Sinnvoll sind für diese Arbeit ein Netzwerk von Fachkräften im Stadtteil und Handlungs-alternativen für die jungen Rechten: Freizeitangebote statt Kameradschaftsabend. Als Schutz gegen die Gefahren in der Arbeit mit rechten Jugendlichen sieht Großmann darin, Öffentlichkeit herzustellen, auch wenn man dadurch vielleicht angreifbarer werde. Patricia Faller