: „Reisekader“ in Diensten des VS
Michael Wobbe, heute 23, wuchs in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf, sein Vater war Angestellter bei der Bundeswehr, die Mutter fährt Taxi. Beide sind eingefleischte SPD- Wähler. Schon früh schloß sich der Junge einer Skinheadgruppe im niedersächsischen Quakenbrück an. Rechtsradikale Aufkleber bestellte er beim „Klartext“-Verlag des NF-Chefs Meinolf Schönborn.
Wobbe begann eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann. Zur Fußball-WM 1990 ließ er sich krank schreiben, wurde dann aber während der Live-Übertragung eines Spiels im Fernsehen gezeigt. Sein Chef tobte und kündigte den Vertrag.
Wobbe sagt, er habe sich im Herbst 1991 aus der Szene verabschieden wollen und beim Verfassungsschutz als Informant angeheuert, weil dessen Mitarbeiter ihn moralisch unter Druck gesetzt hätten. Im Februar 1992 sei er offiziell als V-Mann verpflichtet worden. Der VS erinnert sich, sieht die Sache aber anders. Demnach stand Wobbe zwischen April 92 und September 93 unter Vertrag. Sein Auftrag lautete, sich in den harten Kern der Neonazi- Partei einzuschleusen und Psychogramme der Anführer zu erstellen.
Vier Wochen nach seinem Einzug in das NF-Schulungszentrum in Pivitsheide bei Detmold mauserte er sich zum „Sicherheitsbeauftragten“ Meinolf Schönborns. Wobbe archivierte die Daten der Besucher des Hauses und sammelte als „Reisekader“ nach dem NF-Verbot in ganz Deutschland Mitgliedsbeiträge und Sympathisantenspenden. In mehreren Bundesländern hielt er politische Schulungen ab und baute neonazistische Gruppen auf.
Im September 1993 wurde er „abgeschaltet“, angeblich wegen „mangelnder Nachrichtenehrlichkeit“. Wobbe selbst sagt, über die Entpflichtung sei er zufällig einen Monat später von seinem Führungsoffizier „Uwe Helmbrecht“ unterrichtet worden. Wobbe will ihn angerufen haben, um vor einem geplanten Handgranatenattentat der rechten Szene im bayerischen Füssen zu warnen. Durch Schlamperei gerieten Informationen über seine Tätigkeit in die Prozeßakten von Meinolf Schönborn, der Monate später seinen „Sicherheitsbeauftragten“ für vogelfrei erklärte.
Derzeit lebt Wobbe versteckt, arbeitet in einer Detektei. Er verlangt von seinem Exauftraggeber eine neue Identität und finanzielle Entschädigung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen