Ein Adeliger durchkreuzt den Plan der Regierung

Mit seinem Besitz in Gorleben macht Andreas Graf von Bernstorff der Atomlobby das Leben schwer: An seinen 600 Hektar Land könnten die Pläne für das deutsche Atomendlager im Salzstock scheitern  ■ Von Michael Kalz und Alexander von Harling

Als die Atommanager vor 18 Jahren in Gorleben einkaufen gingen, hatten sie wohl mit einem nicht gerechnet: dem CDU- Mitglied Andreas Graf von Bernstorff. Dessen Ländereien sollten das Herzstück von Deutschlands atomarem „Entsorgungspark“ bilden. Dicht an der Zonengrenze planten Bund und Länder ein nukleares Ensemble aus Wiederaufarbeitungsanlage, Zwischen- und Endlager. Das dünnbesiedelte Wendland und der darunterliegende Salzstock schienen wie gemacht für das Atomprojekt. Doch während andere ihre Parzellen zum zehnfachen Wert verkauften, gab der Graf seine Landstriche und die daran gebundenen Salzrechte nicht her. Die Bauarbeiten begannen trotzdem.

Schon 1979 scheiterte das deutsche Entsorgungskonzept der Wiederaufarbeitung im Wendland am Bürgerprotest. Der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht stoppte das Vorhaben höchstpersönlich. Eine Wiederaufarbeitung sei „politisch nicht durchsetzbar“, mußte der CDU- Landesvater eingestehen. Auch in Wackersdorf ließ sich das Atom- Recycling nicht verwirklichen. Den einzigen Ausweg aus dem deutschen Entsorgungsdebakel boten bis heute die Wiederaufarbeitungsanlagen im britischen Sellafield und im französischen La Hague.

Von dort kommen vertragsgemäß aber nicht nur die teuren Mischoxid-Brennelemente zurück, sondern auch Nuklearmüll, der erst einmal im Gorlebener Zwischenlager schmort. Bleiben darf er da aber nicht. Nach dem Gesetz braucht die Atomindustrie ein Endlager für hochradioaktiven Abfall, um den lückenlosen Entsorgungsnachweis zu erbringen und die Betriebserlaubnis für ihre Kraftwerke zu behalten. Das Problem ist nur: Es gibt in Deutschland keins.

Ohne sich weiter um die Rechte des Grafen Bernstorff zu kümmern, erkunden seit 1980 die Endlagerforscher des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) die angrenzenden Grundstücke. Es gilt herauszufinden, ob der Salzstock tatsächlich geeignet ist, den stark radioaktiven Müll aus 19 bundesdeutschen Reaktoren für die nächsten Jahrtausende sicher abzuschirmen. Darüber scheiden sich die Geister. Kritiker monieren, der Salzstock sei weder groß genug noch biete das zerklüftete Deckgebirge eine ausreichende Barriere gegen die strahlenden Teilchen aus der Tiefe. Zudem komme es immer wieder zu unkontrollierbaren Wassereinbrüchen. Andere halten das Gorlebener Salz trotz allem für den günstigsten Standort.

Wenn es nach dem Grafen geht, bleibt es bei der Spekulation: Die Südwesthälfte, in der ohne sein Plazet nicht gegraben werden darf, liegt für die Forscher nach wie vor im dunkeln.

Nach dem Willen des Bundes soll sich das bald ändern. Umweltministerin Merkel hat dem Land Niedersachsen aufgetragen, die Möglichkeiten einer Enteignung Bernstorffs nach dem Bergrecht zu prüfen. Doch so brüchig wie der Salzstock scheint auch die juristische Konstruktion. Zu rechtfertigen wäre eine Enteignung nur für „wissenschaftliche Zwecke“ oder zum „Abbau von Bodenschätzen“. In Gorleben ist beides nicht der Fall. Das sieht zwar auch die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn so. Trotzdem muß sie widerwillig den Einspruch der Strahlenschützer abklopfen. Für jede weitere Verzögerung droht das BfS mit Schadensersatzansprüchen. Allein für die Jahre 1993 und 1994 will es dem Land 9,6 Millionen Mark in Rechnung stellen.

Aber nicht nur das BfS und Angela Merkel drängeln, auch der wachsende nukleare Müllberg fordert rasche Lösungen. Nach Bundesrechnungen wären bis zum Jahr 2011 etwa 3.200 Güterwaggons nötig, um ihn abzutragen. Wie die Entscheidung über den Verbleib der radioaktiven Last auch ausfallen mag, die Erkundungen in Gorleben laufen weiter auf Hochtouren: 30 Millionen Mark hat Wilfried Steuer, Präsident des Atomforums, fürs erste zugesagt, damit die Untersuchungen abgeschlossen werden können.

Doch dafür, meint Graf Bernstorff, müßte der Bund schon das Bergrecht ändern. Bis dahin setzt er weiterhin auf die langerprobte Verbindung vom Gang durch die Instanzen mit dem Marsch auf die Straße. Das hat er erst letzte Woche wieder praktiziert: Nachdem seine Klage gegen die Einlagerung der Glaskokillen aus La Hague vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Eilverfahren abgeschmettert wurde, war er rund um die Uhr an der Transportstrecke unterwegs: „Im Rahmen energisch vorgetragenen, passiven Widerstands.“