Wer oder was ist der enttäuschte FC Bayern jetzt?

■ Seien wir mal ehrlich: Auch ein UEFA-Cup-Finalsieg heute abend in Bordeaux wird aus dem Interimstrainer Beckenbauer keinen rechten Gewinner mehr machen

München (taz) – Wenn Otto Rehhagel das sehen könnte! Stahlbarrieren, bauchnabelhoch, verschaffen den Spielern des FC Bayern München Distanz gegenüber neugierigen Reportern. Kameras auf dem Trainingsplatz? Verboten. So wie es einst Rehhagels Wunsch war. Zwei mächtige Sicherheitsleute, branchenüblich in schwarzer Kluft und mit anrasiertem Schädel, verteidigen neuerdings das Übungsareal an der Säbener Straße vor den Trainingszuschauern, gleichwohl an diesem Tag ungewohnte Ruhe herrscht.

Es regnet seit Stunden, und die Kicker sind mit ihrem Präsidenten, der noch eine Woche lang Trainer ist, in den Perlacher Forst entschwunden. Seelenpflege im Wald für die müden Nicht-Helden. Wie's ums werte Befinden steht? „Die Spieler“, sagt Franz Beckenbauer, „sind in normaler Verfassung.“ Man mag es kaum glauben, weil die Stimmung trist wirkt – nicht mal Lothar Matthäus gibt mehr Interviews.

Ein wenig Freude könnte freilich der Betriebsausflug nach Bordeaux vermitteln. Immerhin kann der FC Bayern heute abend (20.45 Uhr, Sat.1) wenigstens eine Auszeichnung in dieser Saison abgreifen, und der UEFA-Cup ist gemäß Mittelfeldspieler Mehmet Scholl eine der „wenigen Gelegenheiten im Fußballerleben, so einen Titel zu holen“.

Für den FC Bayern zumal, weil dieser vor zwanzig Jahren zuletzt einen Pokal auf europäischer Bühne gewann, sich nun jedoch mit einer 2:0-Führung im Vorteil weiß. Gewarnt sei eine Mannschaft, sagt Beckenbauer, vom Schicksal des AC Milan, welcher mit gleichem Vorsprung anreiste und mit einem 0:3 wieder heim. „Wir sind stark genug“, sagt Beckenbauer aber auch, „den Pokal zu holen.“ Zumindest für den 14. der französischen Tabelle sollte es dann doch noch reichen.

Für Beckenbauer wäre ein Erfolg nur ein schwacher Trost, weil der FC Bayern im nächsten Jahr ohnehin für diesen Wettbewerb qualifiziert ist. „Wir wollen in Zukunft in die Champions League“, sagt er, „da bist du Meister, da bist du wer.“ Klingt nach Identitätskrise – wirft es doch die Frage auf: wer oder was ist der FC Bayern jetzt? Ein Verlierer? Ein enttäuschter Meisterschaftszweiter, meint Beckenbauer, der sich am Sonntag gar auf dem eigenen Trainingsgelände den neuen Dortmunder Kultsong („Vize, Vize Kaiser Franz“) anhören mußte. Er nimmt es schmunzelnd hin. Ein Zacken sei ihm aus der Krone gebrochen, metaphert es nun allüberall, und Beckenbauer grinst wieder, und er tippt an sein Haupt und sagt: „Sehen Sie hier eine Krone? Ich hab' nur wenig Haare.“

Zu retten, das hat er mehrfach betont, sei ohnehin kaum noch etwas gewesen, und die Meisterschaft, sekundiert Manager Uli Hoeneß, die „hat Rehhagel verloren“, in jenen Heimspielen gegen St. Pauli, Frankfurt, Rostock. „Letztlich“, sagt Beckenbauer, „hatte ich doch sowieso die Verantwortung. Ob direkt oder indirekt ist mir wurscht.“

Natürlich hat der Präsident Beckenbauer die Verantwortung für die Verpflichtung Rehhagels und gleichermaßen dafür, daß der nicht rechtzeitig entlassen wurde. „Man hätte drei, vier Wochen früher handeln müssen“, meint Hoeneß jetzt. Aber die Schäden in der Mannschaft waren irreparabel, die taktischen weniger als die konditionellen und die zwischenmenschlichen. Die eigentlichen Gründe des Scheiterns. Von „Grabenkämpfen“ (Christian Nerlinger) ist die Rede, von „zu wenig Kameradschaft“ (Andreas Herzog) und „Theater und Gezeter“, meint Oliver Kahn: „Was die Bundesliga betrifft, hat die Mannschaft versagt.“

Konzentriert gingen nur wenige ihrem Beruf nach: Herzog jammerte über mangelnde Integration, Ciriaco Sforza will immer noch nach Mailand, Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann werden niemals Freunde.

Jetzt soll auch noch Mario Basler kommen, der notorische Querulant aus Bremen, und es scheint, als handelten sie beim FC Bayern erneut wider besseres Wissen, als würden sie keine Lehren ziehen aus der zu Ende gehenden Saison. „Wichtig ist, daß wir uns Spieler holen, die kicken können“, sagt Hoeneß, „und der Mario kann von einem Bierdeckel aus den Ball in den Winkel hauen, zehnmal hintereinander.“ Ob das reicht? Rehhagel haben sie auch mal für einen ganz Großen gehalten. Markus Götting