Gericht ignoriert Menschenwürde

■ Verfassungsrichter Bertold Sommer erläuterte das Asylurteil: Beim nächsten Fall wird es nachgebessert

Frankfurt (taz) – In Sachen Asylrecht ist noch nicht das allerletzte Wort gesprochen. Dies deutete Verfassungsrichter Bertold Sommer nur wenige Stunden nach der Verkündung des Urteils am Dienstag an, als er sich in der Frankfurter Universität einer Diskussion mit Studierenden stellte. Sommer hat das Asylurteil nicht nur als Berichterstatter vorbereitet, sondern auch mehrere kritische Minderheitsvoten abgegeben.

„Der Senat ist sich klar, daß die Frage der Menschenwürde noch einer verfassungsrechtlichen Würdigung bedarf“, antwortete Sommer auf die Vorwürfe des ebenfalls anwesenden Klägeranwalts Marco Bruns. Dieser hatte bemängelt, daß das Gericht das Asylrecht nur noch unter Beschleunigungsgesichtspunkten gesehen habe. Zur unentziehbaren Menschenwürdegarantie hätten sich auf den rund 240 Seiten des Urteilstextes dagegen so gut wie keine Ausführungen gefunden. „Die vorliegenden Fälle gaben keinen Anlaß, hierzu Stellung zu nehmen“, begründete Sommer das Versäumnis und vertröstete Bruns auf einen nicht näher beschriebenen „nächsten Fall“.

Im übrigen konzentrierte sich Sommer auf eine sachliche Darlegung der Mehrheitsmeinung. Er ließ insbesondere nicht die Illussion aufkommen, daß mit der Asylentscheidung eine substantielle Durchbrechung der Drittstaatenregelung gelungen sei. „Die im Urteil angesprochenen Ausnahmen müssen selten bleiben“, erklärte Sommer seinem Publikum. Ein Asylverfahren in Deutschland können Flüchtlinge, die über einen sogenannten sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist sind, demnach nur erreichen, wenn im Drittstaat die Todesstrafe oder ein Verbrechen drohe oder wenn sich die Lage dort so schlagartig verändert habe, daß die Bundesregierung den Staat noch nicht von der Liste der sicheren Drittstaaten streichen konnte. Denkbar sei schließlich noch, daß der Drittstaat einen Ausländer, etwa aus politischer Rücksichtnahme auf den Herkunftsstaat, ohne jede Prüfung seines Schutzgesuchs weiterschieben will. Christian Rath