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Jelzin verteilt gerecht

■ Rußlands Präsident ordnet die Abschaffung der Wehrpflicht an

Moskau (taz) – Der Wahlkampf hat Präsident Boris Jelzin in einen weitherzigen Samariter verwandelt, der mit dem Füllhorn durchs Land fährt, reichlich beschenkt und Wohltaten verheißt. Gestern verfügte er per Dekret die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Ab dem Jahr 2000 sollen Mannschaftsgrade und Offizierskorps nur noch aus Freiwilligen rekrutiert werden. Die Umstellung auf eine Berufsarmee erstreckt sich auf alle bewaffneten Einheiten der Russischen Föderation, nicht allein auf die Armee.

Die Regierung erhielt den Auftrag, bis zum 1. Dezember ein entsprechendes Reformprogamm und Gesetzentwürfe auszuarbeiten. Im Haushalt des kommenden Jahres soll laut Dekret die Finanzierung des Armeeumbaus Priorität besitzen.

Die Abschaffung der Wehrpflicht wird dem russischen Präsidenten eine Menge Sympathien zuspielen. 1,9 Millionen Soldaten dienen noch in der Armee, die zunehmend in den Verruf geriet, ihre Mannschaften zu schinden, sie bestenfalls mit Gleichgültigkeit zu strafen. Die angespannte finanzielle Lage und grenzenlose Korruption in den Kommandohöhen förderte in den letzten Monaten zuhauf Fälle ans Tageslicht, in denen einfache Wehrdienstleistende verhungert waren. Wer es sich leisten konnte, bestach ohnehin die Aushebungsbehörden, um Söhne freizukaufen. Mütter, aber vor allem die ältere Generation der Großmütter, die nicht zu den Parteigängern des Präsidenten gehören, werden ihre Wahlentscheidung noch einmal überdenken.

Das Offizierskorps und das hypertrophen Heer der 2.500 Generäle dürfte die Entscheidung dagegen kaum freudig aufnehmen, sie hatten sich bislang erfolgreich gegen Reformen gewehrt. Verteidigungsminister Pawel Gratschow, obwohl seinem Dientsherrn ergeben, sah seine Aufgabe darin, jegliche Veränderungen zu hintertreiben. Wenig freuen werden sich auch die Kommunisten, die wider besseres Wissen die Schinderei der Armee als „Ehrendienst“ hochhalten. Klaus-Helge Donath

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