Konzeptuelle Depression

„Vollstrecker“ reimt sich auf „Boris Becker“, „Cracker“ und „Black & Decker“: Das Rödelheim Hartreim Projekt nimmt kein Blatt vor den Vers. Jetzt kommen die eher düsteren Rapper mit ihrer neuen LP auf Tour  ■ Von Gerrit Bartels

Über Politthemen redet Moses P. nicht gern. Viel lieber unterhält er sich, zumal mit Musikjournalisten, über „meine Skills“ – „die Art, wie ich was erzähle, meine Wortspiele, meine Reime. Das klingt doch für sich genommen schon geil, und wenn das Ganze noch einen Sinn macht, ist das doch die absolute Sahne.“

Die Art, in der Moses P. das sagt, läßt wenig Zweifel daran, daß er es so meint, wie er es sagt, und das Schnauben des schwergewichtigen Bodyguards im Hintergrund gibt den Worten des Mannes vom Rödelheim Hartreim Projekt zusätzlichen Nachdruck. Schon vor zwei Jahren, als das Debütalbum „Direkt aus Rödelheim“ erschien, scherten die beiden Rapper aus der Frankfurter Vorstadt sich wenig um Lagerdenken, Korrektheitsansprüche oder Anbiederung an den Kommerz. Als „meistgehaßtes Duo“ schossen sie verbal gegen alles und jeden ihre Breitseiten ab, besonders gegen die Konkurrenz: die Fantastischen Vier und Advanced Chemistry. Groß waren die Schnauzen der Rödelheimer, und sexistisch wurde ihre Wortwahl geheißen. Daß sie sich auch noch mit einer besonderen Vorliebe für die Böhsen Onkelz brüsteten, setzte ihrer provokanten Unkorrektheit die Krone auf, tat ihrer Beliebtheit jedoch kaum Abbruch: Die Musik, angelehnt an den Westcoast-Sound eines Ice Cube oder Dr. Dre, funktionierte blendend auf Tanzflächen, in Radio und Autoradio.

Und nun wollen Moses P. und Thomas H., die beiden Männer hinter dem Hartreim Projekt, auch noch zurück zu den Wurzeln – dahin, „wo alles anfing“.

„Zurück in Rödelheim“ heißt ihr neues Album, und auch hier finden sich wieder jede Menge Skills. HipHop mit nicht immer menschlichem Antlitz. Thomas H.: „Moses P. ist der Chabo, der schmeißt mit Verben, Adjektiven, mir egal, wie der Scheiß heißt.“

Da reimt sich dann „Gelaber“ auf „Kaba“ und „Faber“, „Fotzenlecker“ auf „Neckar“ und „Mekka“ oder „Vollstrecker“ auf „Boris Becker“, „Black & Decker“, „Cracker“ und „Schlecker“. Wie gesagt: Über Inhalte redet Moses P. nicht so gern, er sieht sein Werk eher als „Aneinanderreihung von Dummsprüchen, was wohl jedem Depp auffällt“. Thomas H.: „Das sind Gefühle, die nicht greifbar sind. In die kommst du unvermutet rein, und du sehnst dich dabei, wenn du dich unwohl fühlst, nach einem Fluchtweg.“

Humor gedeiht in solchen Situationen nicht unbedingt üppig. Wut, Haß, Schmerz – das sind die basic emotions des harten Reims – okay, ein bißchen Liebe gibt's auch, aber die muß mit allen Klauen und Kniffen verteidigt werden. Ewige Düsterkeit liegt über Rödelheim, im Reim verdoppelt, du darfst auch konzeptuelle Depression dazu sagen, schließlich will ein Ruf verteidigt werden. Der Kern des Rödelheim Hartreim Projekts verdankt sich einer Umkehrung: Wer dauernd einstecken muß, darf auch austeilen, und das tun die Rödelheimer am liebsten. „Ich holz einfach mal drauf, verlieren kann ich wenig“, heißt es über die eigenen Anfänge in „Für immer und ewig“.

Gelegentlich wird aus der konzeptuellen Depression aber auch begrifflose Paranoia. Dann nämlich, wenn alle Differenzierungen im Freund-Feind-Schema verschwinden und der Ruf vom „meistgehaßten Duo“ mit sentimental aus dem Ruder laufenden Verschwörungsszenarien untermauert wird: „Ich bin dein Freund in deinen schrecklichsten Stunden, währ' nur wenige Sekunden, doch das Leid wird überwunden, deine gesunden Gedanken weichen den kranken, ich weis' den Weg und deinen Feind in seine Schranken“, heißt es in „Dieses Lied“. Oder in „Krank“: „Ihr habt die wahre Welt zerstört, mich gejagt und mich getrieben, mich belogen und betrogen, doch ihr werdet mich nicht kriegen.“

Echt blöd nur, daß sich diese einerseits diffuse, andererseits berechnende Gefühlsrhetorik auch rassistisch gut verwerten läßt und Mißverständnisse vorprogrammiert – zumal Moses P. weiterhin jedem, der es hören will, erzählt, wie sehr ihn die Böhsen Onkelz beeinflußt hätten: „Die sind für mich 'ne fette Band, das einzige Zeugs, was mich an deutschsprachiger Musik irgendwie berührt hat.“ Man muß sie deswegen nicht unbedingt Faschisten schimpfen, aber Frankfurter Vorstadtkumpelei allein erklärt's auch nicht. Moses P. selbst entledigt sich des Gesprächsbedarfs elegant: „Ich bin doch nicht der Popvollidiot, der euch hier den Arsch hinhält, und jeder darf ihn mal reinstecken!“

Je nu. Eher als mit dem Image als böse Buben vom Dienst kann man sich mit dem Sound von „Zurück nach Rödelheim“ anfreunden, der auch in diesem Jahr hiphop- und poptechnisch wieder alle Nasen vorn haben wird. Ein fettes Album mit Big Beats, haufenweise G-Funk-Anklängen und vielen, vielen smoothenden Ausgeruhtheiten. Fast vergißt man manchmal den Grauschleier, der über allem liegt, findet Geschmack an den vielen Widersprüchen – und kauft Moses P. sogar den Versuch ab, „Gefühle so auszudrücken, wie man sie auch im richtigen Leben sagen würde“. Dort kommt auch so vieles „nie auf den Punkt“.

Rödelheim Hartreim Projekt: „Zurück nach Rödelheim“ (Mercury)

Tour: 20. 5. Berlin; 21. 5. Hannover; 22. 5. Hamburg; 23. 5. Bremen; 25. 5. München; 26. 5. Nürburgring; 28. 5. Stuttgart; 29. 5. Nürnberg