Ohne Rechtsanspruch auf Realität

■ Tagung in Hamburg: Förderung von „Ausländerkultur“ beschränkt sich auf Folklore

Mehr als 250.000 Menschen leben ohne deutschen Paß in der Hansestadt; bundesweit sind es rund sieben Millionen. Multikulturalität, zitierte die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Ursula Neumann einen britischen Kollegen, sei eine gesellschaftliche Realität – unabhängig davon, ob die Gesellschaft darauf eingeht. Ohne eine rechtliche Gleichstellung der „ausländischen Mitbürger“ aber bleibe Multikultur ein Zynismus, meinte nicht nur ein Teilnehmer der Tagung zur Multikulturalität, zu der am vergangenen Sonnabend Migrakult, ein deutsch-türkischer Kultur-Förderkreis, eingeladen hatte.

Solange Deutschland erklärtermaßen „kein Einwanderungsland“ bleibe, sagte Neumann, verharre es in der Fiktion einer kulturellen Homogenität. Auch in Hamburg wird ein Dialog zwischen den Kulturen kaum gefördert. In den zehn „deutsch-ausländischen Begegnungsstätten“ Hamburgs findet faktisch wenig interkulturelle Begegnung statt; mit der Förderung von „Ausländerkultur“ ist ein Referat der Kulturbehörde betraut. 500.000 Mark werden hier jährlich verteilt, vorrangig an Nationalitätenvereine, überwiegend für Musik- oder Theaterprojekte. Zukünftig sollen mehr interkulturelle Projekte gefördert werden, versprach Behördenvertreter Volker Plagemann. „Wir machen allerdings keine Sozialarbeit mit ästhetischen Mitteln“, ergänzte er und schloß Kultur als Vehikel der Sozialpolitik aus.

Solange Migrantenkulturen nur ein marginaler Platz eingeräumt wird, heißt es in einem Thesenpapier von Migrakult, erhalten aber weder „Angehörige der Mehrheit“ noch Migrantengruppen die Gelegenheit, sich mit den verschiedenen Kulturen auseinanderzusetzen. Und niemand, bedauerte Ismail Kaplan, weise auf die Vorteile durch Multikulturalität hin. Vielmehr bedienten sich mittlerweile auch Gegner einer multikulturellen Gesellschaft des Begriffs, um damit auf Trennendes hinzuweisen und die Unterschiedlichkeit zu zementieren, berichtete eine Tagungsteilnehmerin.

Immer dort, wo auf Unterschiede hingewiesen werde, sagte der Behinderten-Pädagoge André Zimpel, existierten viele Gemeinsamkeiten. Und Trennendes gebe es zwischen allen Ethnien, nicht nur zwischen deutscher und „ausländischer“ Kultur. Einen Dialog und das Recht, die eigene Kultur zu leben und bekannt zu machen, müssen nicht zuletzt die Migranten selbst geltend machen, fordert Migrakult. Nicht nur an der Tagung hatten die entsprechenden Verbände und Vereine, die dabei als Multiplikatoren dienen könnten, wenig Interesse gezeigt. Allerdings, räumte Kaplan ein, hätten Migranten auch nicht genügend Macht, um die erforderlichen Brücken zu schlagen. Stefanie Winter