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Der kalte Glanz der Funktionselite im NS-Staat

Himmler, Heydrich, dann Dr. Werner Best. Ulrich Herbert hat eine aufregende Biographie über den dritten Mann in der SS-Hierarchie geschrieben, der in der Bundesrepublik Karriere machte und seinen Ideen treu blieb  ■ Von Ahlrich Meyer

Ein Skandal, der keiner war: Der dritte Mann des SS-Staates neben Himmler und Heydrich lebte bis zu seinem Tode im Jahr 1989 in der Bundesrepublik, ohne sich hier je vor Gericht verantworten zu müssen.

Statt dessen lancierte er seit den frühen 50er Jahren Amnestiekampagnen für NS-Verbrecher, koordinierte die juristischen Strategien zu ihrer Verteidigung, wirkte beim Umbau der nordrhein-westfälischen FDP zu einer Tarnorganisation ehemaliger Nazis mit. Und nebenbei sorgte der auskunftsfreudige Jurist dafür, daß seine geglättete Version der Ereignisse zwischen 1933 bis 1945 Eingang in die Zeitgeschichtsforschung fand. Allein dies Faktum reicht aus, die Nachkriegsgeschichte umzuschreiben und einen Teil der Literatur über die NS-Zeit zu revidieren.

Ulrich Herbert, dem wir das erste grundlegende Werk über den Einsatz von Zwangsarbeitern im „Dritten Reich“ verdanken, hat nun die erweiterte Fassung seiner Habilitationsschrift über Werner Best veröffentlicht.

Darin fällt nicht nur ein neues Licht auf die Gründungszeit der Bundesrepublik, sondern der Verfasser bemüht sich um nicht weniger als um ein Bild des Jahrhunderts, um eine Nachzeichnung von deutschen Kontinuitäten.

Der Bogen der Kapitel reicht vom Milieu des intellektuell-elitären Rechtsradikalismus der Weimarer Republik über den Ausbau der Politischen Polizei zum zentralen Instrument des totalitären Terrors im Nationalsozialismus bis zur Konzeption einer europäischen Neuordnung mit den Mitteln von Bevölkerungspolitik und Massenvernichtung.

Die Etappen der deutschen Besatzungsherrschaft in Frankreich und Dänemark während des Zweiten Weltkriegs, gemeinhin als moderate Westpolitik interpretiert, werden vor dem Hintergrund dieser Konzeption neu bewertet. Die Darstellung der „Vergangenheitsbewältigung“ und der „kalten Verjährung“ von NS-Verbrechen in der Bundesrepublik liefert schließlich Material für die These, die Geschichte des Nationalsozialismus sei nach 1945 nicht beendet gewesen. Insgesamt ein beeindruckendes Panorama.

Synthese von Biographie und Zeitgeschichte

Wer war Dr. Werner Best? Nach Einschätzung der Berliner Staatsanwaltschaft war er „seinem Wesen und seiner Stellung nach einer der bedeutendsten Nationalsozialisten überhaupt“.

In der „völkisch“-antisemitischen Studentenbewegung nach dem Ersten Weltkrieg und im „Abwehrkrieg“ gegen die Rheinlandbesetzung politisiert, ideologisch beheimatet in den nationalrevolutionären Kreisen um Ernst Jünger, trat Best 1930 in die NSDAP ein und wurde als Verfasser der „Boxheimer Dokumente“ berühmt, eines Putsch- und Notverordnungsplans der Nazis in Hessen.

Nach der „Machtergreifung“ begann eine steile Karriere, die vom Sonderkommissar der hessischen Polizei über den Münchner SD und die Preußische Gestapo bis in das Hauptamt Sicherheitspolizei beziehungsweise das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) führte, wo Best bis 1940 der Stellvertreter Heydrichs blieb.

In den Jahren 1940–42 leitete er die Abteilung Verwaltung des deutschen Militärbefehlshabers in Frankreich, von 1942 bis 1945 war er „Reichsbevollmächtigter“ im besetzten Dänemark.

In der Bundesrepublik finden wir Best ab 1951 als Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei des einflußreichen FDP-Politikers Dr. Ernst Achenbach, bevor der Hugo-Stinnes-Konzern den inzwischen Fünfzigjährigen zum Justitiar und Direktoriumsmitglied bestellte. Ein eingeleitetes Strafverfahren gegen Werner Best wurde vom Berliner Kammergericht 1972 wegen drohender Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten eingestellt.

Best, der noch 17 Jahre als freier Mann in Mülheim an der Ruhr verbrachte, hatte seine Beteiligung an den Röhm-Morden, seine führende Rolle als SS-Jurist und Organisator des RSHA, bei der Aufstellung der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei in Polen, seine Verantwortung für die Ermordung von mindestens 8.723 Polen und Juden, für Geiselerschießungen und die Vorbereitung der „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich und für Terroraktionen gegen die dänische Bevölkerung mit einer sechsjährigen Gefängnisstrafe in Dänemark und mit 34 Monaten Untersuchungshaft in Berlin-Moabit abgegolten.

Kann eine Biographie dieses Mannes auf Interesse rechnen? Oder wäre eine Analyse der von Best konzipierten Polizei-, Besatzungs- und Verwaltungsstrategien nicht vordringlicher? Brauchen wir nicht eher weitere Forschungen zur Funktion der Polizei im Nationalsozialismus, über den Zusammenhang von „Großraumverwaltung“ (Best) und „Endlösung“, kritische Untersuchungen zur deutschen Besatzungspolitik während des Zweiten Weltkriegs?

Ulrich Herbert hat diese Frage für sich beantwortet und eine große Synthese vorgelegt.

Seine umfangreichen, auf einer immensen Materialfülle aufbauenden „biographischen Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft“ werden sich, das läßt sich schon jetzt sagen, als ein Standardwerk der Zeitgeschichtsschreibung behaupten, sie enthalten Sprengstoff, was die Nachkriegsaktivitäten des Dr. Best in der BRD angeht, und sie fordern auf zur Auseinandersetzung.

Es lag nicht in der Absicht Herberts, mit der Arbeit über Best eine Biographie im herkömmlichen Sinn zu liefern.

Der explizit erhobene Anspruch des Freiburger Historikers zielt auf eine Verbindung von politischer Biographie und Gesellschaftsgeschichte.

Dies ist nicht nur so zu verstehen, daß die Stationen von Bests Werdegang zum Anlaß für „eigenständige monographische Untersuchungen über die junge rechte Intelligenz der 20er Jahre, über die nationalsozialistische Sicherheitspolizei, über die deutsche Besatzungspolitik in Frankreich und Dänemark, über die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in Westdeutschland nach 1945/49“ genommen werden, wie der Autor einleitend formuliert. Vielmehr liegt die historiographische Herausforderung für Herbert im biographischen Zugang selbst, da die politische Geschichte Deutschlands in diesem Jahrhundert, durch Brüche gekennzeichnet, zugleich „durch die Lebensgeschichte der Individuen gewissermaßen zusammengehalten“ wird.

Das eigentliche Forschungsinteresse, das über die Person Best hinausweist und von dem Herbert sagt, es sei lange vernachlässigt worden, gilt der Kerngrupppe der nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik, dem intellektuellen Führungspersonal des Terrorapparats der SS und des Reichssicherheitshauptamts, und es ist die Frage nach der politischen Sozialisation und ideologischen Aufladung von Angehörigen dieser Gruppe, mit der Herbert beginnt. Hinzu kommen zwei Prämissen, die eng miteinander verbunden und wohl auch diskussionsbedürftig sind.

Zum einen wird von der historischen Bedeutung „generationeller Erfahrungen“ ausgegangen. So sei die Dynamik, die zur „Endlösung“ führte, einer spezifischen „politischen Generation“ zuzuschreiben, jener Kriegsjugendgeneration des Ersten Weltkriegs, deren Selbststilisierung Herbert als radikalen Komplex von „völkischer Weltanschauung“ und „Sachlichkeit“ kennzeichnet. Mit anderen Worten: Diese akademische Elite brauchte nicht Hitler, um im NS- Staat zu funktionieren, und sie blieb dem Nationalsozialismus über den Untergang hinaus treu. Und zweitens unterstellt Herbert, daß Ideologien und „politisch- weltanschauliche Großkonzepte“ (sic!) von eigenständiger Bedeutung für die Motivation, Legitimation und Durchsetzung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gewesen seien.

Nun gehört der von Herbert geführte Nachweis der unauflöslichen Verbindung einer völkisch- rassistischen „Weltanschauung“ einerseits und einer sachlichen, effizienzorientierten Rationalität und Professionalität andererseits (das erklärt übrigens den Untertitel des Buches) bei einem „Vernichtungstheoretiker“ wie Best sicher zu den unbestreitbaren Kernaussagen seines Buches. Es war überfällig, den Anteil der SS-Intellektuellen in der Sicherheitspolizei und im SIcherheitsdienst an der Planung und Durchführung der Vernichtung der europäischen Juden hervorzuheben. Zu Recht verweist der Autor auch darauf, daß Bests Biographie zum Blick auf die deutsche Gesellschaft zwinge, „aus der heraus eine solche Elite erwuchs“.

Und schließlich überzeugen die Schlußkapitel gerade deswegen, weil Herbert aufzeigt, wie sehr die westdeutsche Gesellschaft „von den NS-Eliten oder der Auseinandersetzung mit ihnen selbst geprägt“ wurde. Die westdeutsche Gesellschaft – und nicht zuletzt auch die westdeutsche NS-Historiographie! Denn zu den beunruhigenden Erkenntnissen, die das Buch bietet, zählt der Befund, „daß ein Teil der einschlägigen Spezialliteratur nicht unwesentlich und manchmal in ungeahntem Ausmaß von Best selbst beeinflußt worden ist“.

Dennoch habe ich einige Zweifel am Gesamtkonzept, die Biographie eines Protagonisten der SS/ RSHA-Führungsgruppe als Gesellschaftsgeschichte zu schreiben und dabei die Wirksamkeit der „politisch-weltanschaulichen Großkonzepte“ in den Mittelpunkt zu rücken.

Bests Legenden beeinflußten die Historiker

Zu fragen ist, ob es sich nicht um einen methodischen Zirkelschluß handelt und ob der biographische Ausgangspunkt die Untersuchungsperspektive nicht verengt. Das nämlich, was zuallererst zu belegen gewesen wäre, eben die Bedeutung von Ideologien für das Handeln der NS-Elite, scheint mir zur Grundlage der Darstellung gemacht worden zu sein.

Es wundert mich jedenfalls, daß der Verfasser, der doch um die von Best ausgehenden Legendenbildungen in der Geschichtsforschung weiß, dessen ideologisch überformtes, legitimatorisches Selbstbild zum Leitfaden (und Untertitel) seiner Studien erhebt, als sei der Lebensweg des SS-Gruppenführers Best wirklich die Realisierung einer „völkischen Weltanschauung“, aus der zugleich die Praxis des RSHA und der SS-Einsatzgruppen, die deutschen Neuordnungspläne für Europa und die Vernichtungspolitik gegenüber den Juden zu erklären wären.

Nun, das mögen akademische Einwände sein. Doch bei genauer Durchsicht der einzelnen, monographisch angelegten Kapitel fallen zwangsläufig auch Mängel auf. Daß der Autor über weite Strecken aus der einschlägigen Literatur referiert, ist bei dem Umfang des Vorhabens unvermeidlich und als Zusammenfassung womöglich nützlich.

Daß in manchem Kapitel ein allzu konventioneller Geschichts- und Politikbegriff durchschlägt, daß man beispielsweise mit Blick auf das Scheitern der Zusammenarbeitspolitik in Dänemark nur wenig anderes über die dänische Widerstandsbewegung erfährt als das von Best selbst fabrizierte Zerrbild, wonach der Widerstand auf die „Provokation“ deutscher Gegenmaßnahmen gezielt habe, ist vielleicht der Begrenzung aufs Biographische geschuldet. An anderen Stellen wiederum hätte ein besseres Lektorat manchen Irrtum im Detail vermieden: Es irritiert, um nur ein Beispiel zu nennen, daß bei einem so wichtigen Datum wie dem Beginn der Deportation der Juden aus Frankreich nach Auschwitz zwei unterschiedliche Angaben gemacht werden, die zudem beide falsch sind. Es war der 27. März 1942.

Wenig Verständnis habe ich schließlich dafür, wie Herbert mit Forschungsergebnissen von anderer Seite umgeht. Da findet eine stillschweigende Annäherung an früher verworfene Erklärungsversuche statt, wie an den von Susanne Heim und Götz Aly, die den Mord an den europäischen Juden im Zusammenhang mit Bevölkerungspolitik und nationalsozialistischer „Großraumordnung“ sehen.

Oder es werden Einsichten ausgebreitet, ohne daß erkennbar wäre, in welchem Maße ihnen Vorarbeiten zugrunde liegen: Daß die deutsche Militärverwaltung für den Beginn der „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich mitverantwortlich war, indem sie die durch Massenerschießungen von französischen Geiseln ausgelöste Krise der Besatzungspolitik Ende 1941 mit dem Vorschlag zu beenden suchte, statt dessen zur Bekämpfung der Widerstandsbewegung Juden und Kommunisten „nach dem Osten“ zu deportieren, ist bisher von der westdeutschen Historiographie (Jäckel, Umbreit) ignoriert worden. In der französischen Forschung hat dies jedoch Serge Klarsfeld längst nachgewiesen. Dieser Sachverhalt wird in dem vorliegenden Buch in einer einzigen Fußnote eher versteckt als offengelegt.

Abgesehen davon hält sich Herbert gegenüber apologetischen Tendenzen in den älteren Darstellungen zur deutschen Besatzung in Frankreich auffällig vorsichtig zurück. Hätte sich an dieser Stelle nicht eine Diskussion darüber angeboten, ob Werner Best nicht auch dem Historiker Eberhard Jäckel und mehr noch dem Militärhistoriker Hans Umbreit die Legenden über die „saubere Verwaltungsarbeit“ der Wehrmacht in Frankreich in die Feder diktiert hat?

Ulrich Herbert: „Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903–1989“. Dietz Verlag, Bonn 1996, 696 Seiten, 58 DM

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