: Altersrente gab es früher erst mit 70
■ Das Sozialversicherungssystem wurde seit Kaisers Zeiten beständig ausgebaut. Der Höhepunkt lag in den 70er Jahren
Die erste gesetzliche Krankenversicherung wurde im Jahre 1883 eingeführt. Die Beiträge lagen anfangs zwischen 1,5 bis sechs Prozent des Arbeitsverdienstes und waren zu zwei Dritteln von den Beschäftigten aufzubringen. Die Versicherten genossen eine medizinische Grundversorgung, ab dem vierten Krankheitstag gab es Krankengeld.
Seit den 50er Jahren kletterten die Beiträge von anfangs sechs Prozent auf zehn Prozent im Jahre 1970 und liegen heute durchschnittlich bei 13,2 Prozent, zur Hälfte von Beschäftigten und Arbeitgebern zu tragen. Medizinische Fortschritte und der Ausbau des Gesundheitswesens ließen die Kosten rasant in die Höhe steigen. Mit dem Kostendämpfungsgesetz von 1977 wurde die Selbstbeteiligung der Versicherten eingeführt und seither beständig ausgebaut.
Für die 1889 erstmals eingeführte Invaliditäts- und Altersversicherung waren zu Anfang 1,7 Prozent vom Lohn an Beiträgen fällig, jeweils zur Hälfte zu tragen von Versicherten und Arbeitgebern. Anspruch auf Altersrente hatten erst 70jährige, die Rente betrug nur ein Fünftel bis höchstens ein Drittel des Verdienstes und erreichte damit oft nicht mal die Armenpflegesätze. 1916 wurde die Altersgrenze auf 65 Jahre herabgesetzt.
1957 wurden die Renten reformiert und beträchtlich erhöht. Ab da konnten Frauen und Arbeitslose unter bestimmten Bedingungen schon mit 60 Jahren in Rente gehen. Der Beitragssatz stieg von zehn Prozent im Jahre 1950 auf heute 19,2 Prozent. Das Rentenniveau nach 45 Versicherungsjahren lag seit 1957 nahezu auf dem heutigen Niveau, das etwa 68 Prozent des Verdienstes ist.
Jetzt geht's wieder bergab: Vom Jahre 2001 an soll die Altersgrenze auch für Frauen wieder auf 65 Jahre angehoben werden. Das erste Gesetz zur Arbeitslosenversicherung (AVAVG) trat 1927 in Kraft. Mit dem AVAVG bekamen Erwerbslose erstmals ohne Bedürftigkeitsprüfung Unterstützung für eine Höchstdauer von 26 Wochen. Die Anwartschaft erfüllte, wer in den letzten zwölf Monaten 26 Wochen lang einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen war. Die wöchentlichen Unterstützungssätze lagen zwischen sechs und 22 Reichsmark. Zum Vergleich: ein Textilfacharbeiter verdiente damals etwa 42 Mark in der Woche.
Die Beiträge lagen zu Anfang bei drei Prozent (heute: 6,5 Prozent), zur Hälfte von den Versicherten zu tragen. Das Arbeitsförderungsgesetz (AfG) von 1969 löste das AVAVG von 1927 ab. In den Zeiten der Vollbeschäftigung wurde vor allem die Berufs- und Arbeitsförderung ausgebaut. Das Leistungsnetz verdichtete sich bis zur Mitte der 70er Jahre. Damals bekamen sogar Hochschulabsolventen ohne vorhergegangene Beschäftigung eine befristete Arbeitslosenhilfe. Später sank das Arbeitslosengeld für Kinderlose von 68 auf 63 Prozent des vorhergegangenen Entgeltes und liegt jetzt bei 60 Prozent (mit Kindern: 67 Prozent).
Die Zumutbarkeitsanordnung wurde 1982 entscheidend verschärft. Wer arbeitslos wird, muß nach einem halben Jahr auch Jobs annehmen, deren Verdienst nur in Höhe des Arbeitslosengeldes liegt. Arbeitsminister Blüm will jetzt den Berufsschutz abschaffen: Dann kann Erwerbslosen eine berufsfremde Tätigkeit zugemutet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen