Kulturkritik in der Rundumbehandlung

■ Doppelte Böden und Infotainment: Pitch Shifter mit Metalgebräu im aktuellen Format

Ein Pitch Shifter ist jener unabdingbare Regler am Plattenspieler, der die Umdrehungs-Geschwindigkeit steuert. Ein kleiner Schie-ber, mit dem stufenlose Veränderungen möglich sind, oder, anders gesagt, ein wesentliches Ding, das den DJ zum Künstler machen kann, indem er zum Beispiel aus einem HipHop-Instrumental durch radikales Verlangsamen ein Trip-Hop-Epos macht.

Pitch Shifter sind eine vierköpfige Band aus Nottingham, die ihre Platten bei Earache, dem ehemals heftigsten aller Metal-Label, veröffentlichen. Aber so, wie Earache ihren Namenszug jetzt in einem charmanten 60er-Jahre-Schwung schreiben, haben Pitch Shifter ihr einst finsteres Sampler- und Rhythmusgetriebenes Metallgebräu auf das aktuellste Format gebracht. Das genügt sich nicht in Geräuschen aller Art, auch bleierne Riffs mit extrem vordergründigen Beats sind hier nur die Basis zum Weiterreisen. Pitch Shifter waren in allen Clubs, sie kennen alle Rezepte. So zuckt der wohlfrequentierte Elektrobeat oft funky, manchmal gekonnt gebrochen bis hin zum echten Breakbeat, der auch in Drum&Bass-Land bestehen würde.

Doch die Platte hieße nicht Infotainment?, wenn nicht mit und durch all diese Lust an Spaß und Technik eine volle Breitseite Kultur- und Kapitalismuskritik in bester Hardcore-Tradition abgefeuert würde. So lernen wir in „Product Placement“, daß uns die Werbung unnützen Dreck andrehen möchte, „Virus“ spicht von der Ausbeutung der Armen, und in dem Stück mit dem schönen Titel „We're Behaving Like Insects“ geht es tatsächlich um menschliche Gleichschaltung.

Diese betont korrekten Erkenntnisse präsentieren die vier kurzhaarigen Kritiker nicht nur hörbar, sondern per eingebauten CD-Rom-Titeln auch – quasi affirmativ – als dezent interaktive Rundumbehandlung. Dort flimmert das – nicht wieder abschaltbare – Albumcover, ein zum Skelett verstrahtler Fernsehansager vor dem Bild einer glücklichen Familie mit der Bildunterzeile „Everything's OK“. Und über allem schwebt das an den Titel angefügte Fragezeichen.

In dieser Kombination halten sie den Weltrekord an offensichtlichen Brechungen und doppelten Böden und werden sich demnächst selbst überholen. Der Computer wird implodieren. Was dann bleibt? Der gute alte Geschwindigkeitsregler.

Uschi Steiner

Fr, 24. Mai, 21 Uhr, MarX