Bilder aus dem stillen Sommer

■ Studien in Schwerelosigkeit: Jacques Rivettes Vorsicht: Zerbrechlich ist so leicht wie Licht

Es passiert nicht oft, daß ein morgens gesehener Film sich so in die unteren Bilder im Kopf mischt, daß er in der folgenden Nacht plötzlich wieder da ist. Genau das ist aber nach Jacques Rivettes Vorsicht: Zerbrechlich passiert, und im Traum war das Gefühl ähnlich schön wie beim Sehen des Films.

Hier hat die Kohärenz nur die Spur des Zwingenden, jede Geste, jede Handlung scheint nur wie zufällig zur vorangegangenen zu passen, und dabei hat der Film eine ganz stringente Handlung (die Rivette allerdings nicht immer ganz stringent verfolgt).

Da ist Louise (Marianne Denicourt), die fünf Jahre nach einem schweren Unfall aus dem Koma erwacht und sich in Paris wiederfindet, jetzt, und die durch die Straßen geht mit der freudigen Überraschung der Geretteten, die alles schon einmal überstanden und wenigstens vor dem Sterben keine Angst mehr hat. Und da ist Ninon (Nathalie Richard), die nach einem Mord, den sie beobachtet hat, in ein neues Leben taucht, einen anderen Stadtteil, einen neuen Job, eine fremde Wohnung, und das mit einer solchen Selbstverständlichkeit und Kraft, daß sie an eine Katze erinnert, die ihre Lage nur aus Bequemlichkeit verändert, nicht aus Sorge. Schließlich ist da Ida (Laurence Côte), die Bibliothekarin, die adoptiert wurde und auch nicht wirklich in einem festgefügten Leben steht.

Völlig unbelastet von äußeren Bindungen, wie hingeworfen, treiben diese drei durch den Pariser Sommer, die Zeit, in der die Straßen leerer sind, weil immer noch viele wie auf Befehl an die Küsten fahren, die Zeit, in der in den stilleren Nachbarschaften die Geschäfte zu und die Cafés mit den sonnigen Terrassen leer sind. Und natürlich kreuzen ihre Wege sich dabei.

Vollkommen unvorbereitet hat Rivette seine Darstellerinnen in die Szenen geschickt, die er Tag für Tag gedreht hat, und keine wußte, was folgen sollte und was vorher war. Und vielleicht haben die drei Hauptdarstellerinnen deshalb so eine schlafwandlerische Sicherheit, immer in jedem Moment richtig zu sein. Und das sind sie. Marianne Denicourt mit der Ausstrahlung einer aus der Zeit Gehobenen, die ihr etwas Altmodisches verleiht, und Nathalie Richard als modernes Gegenstück, der intelligente Gegenentwurf zum blöden Girlie, so schamlos, diebisch, selbstsüchtig und gut, daß es gut tut. Etwas blasser ist nur Laurence Côte, doch das mag an ihrer Rolle als Adoptierte liegen, ihren Selbstgesprächen mit dem Kater, der Geziertheit, die ihrer Figur weniger Farbe läßt.

Vorsicht: Zerbrechlich ist ein Film mit Musik, ein Musikfilm, manchmal, und das ist mal schön und mal nervtötend. Der Meister sah den Frauen gern in ihren Bewegungen zu, das sagt er selbst, und es ist sichtbar, und sorgt für Längen, die ermüdend gegen die fließende Bewegung des Films stehen.Aber das sind nur Momente. Insgesamt hat Regisseur Rivette, aus der ersten Riege der Nouvelle Vague über so schwerverdauliche Endlos-Gerichte wie Johanna von Orléans in die Sorglosigkeit eines deutschen Ein-Kopien-Starts abgedriftet, mit Vorsicht: Zerbrechlich eine Komödie geschaffen, die nichts Komödiantisches hat, außer ihrer Atmosphäre, ihrer Leichtigkeit und momentlangem Lächeln. Das ist ein Film, wie der Sommer sein sollte. So leicht, im Licht so durchscheinend, voll von spannenden, schönen Frauenfiguren, und so wie das Leben im Sommer manchmal ist: einfach beglückend.

Das erschöpfte, sorgengeplagte Paris der neuen Chirac-Zeit hat hier ein Gesicht, wie die Stadt es vielleicht in den frühen 80ern zuletzt hatte, als einen Augenblick lang alles möglich schien. Wie in diesem Film, eben. Thomas Plaichinger

Abaton