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Alle Staatsfeinde voll im Griff

■ Neuer Verfassungsschutzbericht: Keine Entwarnung vor Rechtsextremismus Von Silke Mertins

Nach intensiver Schnüffel-, Wühl-, Abhör- und Ermittlungsarbeit bei den Feinden der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung kam der Hamburger Verfassungschutz gestern zu dem Ergebnis: Grund zur Sorge gibt es schon, doch man habe alles „im Griff“. In seiner Jahresbilanz 1995, die Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) und der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Ernst Uhrlau, vorstellten, geht es um Rechtsextremismus, die militante linke Szene und extremistische ausländische Gruppen.

Ein „deutlicher Rückgang des organisierten Rechtsextremismus“ sei erkennbar, freute sich Innensenator Wrocklage. Gesellschaftlicher Druck, nachrichtendienstliche Aufklärung und Organisations- und Demonstrationsverbote hätten dazu geführt. Andererseits aber sei eine „Intellektualisierung“ und eine „kommunikationstechnische Aufrüstung“ zu beobachten. Als „geistigen Kopf“ der rechten Szene beschreibt der Bericht den Hamburger Sozialwissenschaftler Reinhold Oberlercher, der eine zentrale Rolle in der „Schulungsarbeit“ spiele.

Zu den Meinungsmachern der jungen Rechten gehört außerdem der kürzlich in die Schlagzeilen geratene Abiturient Jan Zobel, dessen Lehrer sich teilweise als befangen erklärten und ihn nicht prüfen wollten. Erstmals zeichnete der Bundespressesprecher der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) im vergangenen Oktober für die JN-Zeitschrift „Einheit und Kampf“ als Herausgeber verantwortlich.

„Antidemokratisches Denken hat viel mehr Facetten als der Nationalsozialismus“, warnte Uhrlau vor einer Vereinfachung. Gerade der national-konservative Bereich habe eine „Brückenfunktion“. Anhaltspunkte für organisierten Rechtsextremismus in der Hamburger Polizei hat der Verfassungsschutz nicht. Was aber in den Köpfen einzelner vorgehe, könne er nicht sagen, so Uhrlau. Den braunen Surfern und Usern im Internet „sind wir nicht ganz hilflos hinterhergelaufen“, so Uhrlau zu den Schwierigkeiten, die multimediale Welt zu kontrollieren. Derzeit gebe es „Waffengleichheit“. Die intensive Nutzung der neuen Medien mache jedenfalls die zurückgefahrenen rechten Organisationsstrukturen wieder wett. Wrocklage hob außerdem hervor, daß „terroristische Optionen“ in der Rechten zu erkennen seien.

Die linksextreme Szene sei hingegen von „Stagnation“ gekennzeichnet. Antifa-Gruppen tendierten mangels „physisch greifbarer Zielobjekte“ aus dem Kreise der Rechten dazu, Vertreter staatlicher Gewalt anzugreifen. Der Staat und „das Kapital werden ersatzweise für Bestrafung herangezogen“, so Uhrlau. Erfolgreiche Mobilisierungsvehikel seien nach wie vor „Kampagnenthemen“ wie etwa die Castor-Transporte.

Sorgen bereiten Innensenator und Verfassungschutz zudem die „anhaltende Gewalttätigkeit kurdischer und türkischer Extremisten“ sowie zunehmender islamischer Fundamentalismus. Aber „auch das haben wir im Griff“, beruhigte Wrocklage. Dann ist ja alles gut.

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