: Helden von komplexer Banalität
■ 1939 geschrieben, 1987 verlegt, 1996 endlich auf deutsch: "Der Außenseiter", ein weiteres stilles Blatt aus der romanesken Seelenlehre des Emmanuel Bove
Er besitze den Sinn für das treffende Detail, hat Beckett über Emmanuel Bove gesagt. Und tatsächlich fesseln die Romane des französischen Autors den Leser weniger durch ihre oft nebulösen Handlungen als durch eine Fülle von Sätzen, die präzise die hilflosen Gestikulationen von Menschen beschreiben, die sich unentwegt ihres eigenen Vorhandenseins versichern müssen, weil dessen Evidenz nicht mehr gegeben ist.
Jean-Marie Thély, Ich-Erzähler und Titelfigur, zelebriert in dem Roman „Ein Außenseiter“ die Vorbereitungen für seinen alltäglichen Spaziergang: „Dann werfe ich einen letzten Blick in den Spiegel. Ich entdecke keine Geschmacksverirrung, keine Nachlässigkeit. Mehr ist nicht zu machen. Es geht jetzt darum, so zu tun, als wisse man es nicht.“ Hier wird eine doppelte Verstellung geprobt. Zuerst muß die äußere Erscheinung unter Kontrolle gebracht werden, dann das innere Befinden: Das künstliche Arrangement soll den Schein der Natürlichkeit zurückerhalten. Dabei sind die Gesten und Haltungen, die Thély hier ausprobiert, nicht für andere da. Er inszeniert sie vor allem für sich selbst, um in den kurzen Momenten, in denen er seinem eigenen Betrug erliegt, das Gefühl zu haben, „ein Mensch mit bestimmten Merkmalen“ zu sein, gleich welchen.
1939 hat Emmanuel Bove (1898 bis 1945) seinen Roman „Ein Außenseiter“ geschrieben, erst 1987 fand das Buch einen Verleger: ein Zeichen dafür, wie mühsam sich die Wiederentdeckung eines der interessantesten französischen Schriftsteller dieses Jahrhunderts vollzieht (dabei hat Rilke ihn bewundert, Colette ihn gefördert, Handke ein paar seiner Bücher übersetzt). Vielleicht liegt das daran, daß die Menschen, die Bove beschreibt, kompliziert und banal zugleich sind. Seine Romane führen nämlich mitten hinein in die Labyrinthe des Unauthentischen; die Figuren werden nicht von inneren Wahrheiten oder äußeren Herausforderungen umgetrieben, sondern allenfalls von deren Fehlen, das sie mit ziellosen Kompensationsbewegungen zu verbergen versuchen, vor allem vor sich selber und in der Regel ohne Erfolg.
Jean-Marie Thély ist ein typischer Bove-Held. Er haust arbeitslos in schäbigen Pariser Hotelzimmern, geht die Boulevards auf und ab, beklagt beredt sein Unglück und wartet darauf, daß sich „etwas Unvorhergesehenes und Außergewöhnliches“ ereignet.
Immerhin unternimmt er eine Reihe von Liebesversuchen, die ihn aber alle nicht aus seiner Einsamkeit vertreiben können. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Beziehung zu der reichen Denise, die Thély aber weniger aus Zuneigung als aus Sorge um Selbstdefinitionen begehrt. „Der Akt der Liebe“, so denkt er nach ihrer ersten Nacht, „die Zärtlichkeiten, die Eroberung, die Küsse, waren das nicht alles Taten eines Mannes, der in sich ruhte?“
Da es also statt um Gefühle hauptsächlich um deren Identitätseffekte geht, kann diese Beziehung nur scheitern. Thély und Denise bemerken das spätestens an ihrem Hochzeitstag: „Unbehagen erfaßte uns. Unser Abenteuer hatte etwas schrecklich Persönliches“ – und das ist für beide eine Überforderung. Denn Thély hängt viel zu sehr an seinem Unglück, als daß er es ernsthaft aufgeben wollte – was es wiederum verschärft.
Selbst das Leiden an der eigenen Seelenleere kann bei Bove zur uneigentlichen Gebärde werden. Darin liegt die äußerste Trostlosigkeit dieses Romans – und zugleich eine etwas unheimliche Koketterie. Denn das Unglück weist hier in der Prägnanz der Formulierungen immer aufs neue seine Unvermeidbarkeit vor, so als wenn es die letzte Bastion der Selbstbehauptung vor den Schrecken der Ausdruckslosigkeit wäre. Eberhard Hübner
Emmanuel Bove: „Ein Außenseiter“. Aus dem Französischen von Dirk Hemjeoltmanns. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Bettina Augustin. Manholt-Verlag, Bremen, 208 Seiten, 39,80 DM
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