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„Kapitalismus“ neu buchstabiert

Prall gefüllte Veranstaltungen über Globalisierung und Staatsverschuldung: Elmar Altvater, Birgit Mahnkopf und Helga Ostendorf auf der Volksuni  ■ Von Ute Scheub

Zerschlägt die Globalisierung den Sozialstaat? Ist die Staatsverschuldung ein unmittelbares Ergebnis dieses Turbo-Kapitalismus? Ergibt ihre Bekämpfung per Sparmaßnahmen einen Sinn, oder sind diese auch nur Teil der gigantischen Umverteilung von unten nach oben? Selten waren die Fragestellungen in den Veranstaltungen der Volksuni so aktuell wie dieses Jahr, selten waren Ökonomieveranstaltungen so prall gefüllt. Gefüllt auch von dem spürbaren Bedürfnis von Intellektuellen und GewerkschafterInnen, „Kapitalismus“ wieder neu buchstabieren zu lernen.

Was ist neu an der Globalisierung? fragten FU-Professor Elmar Altvater und FHW-Professorin Birgit Mahnkopf in zwei aufeinanderfolgenden Veranstaltungen. Ihre Antwort, die man demnächst in ihrem gemeinsamen Buch nachlesen kann: Seit sich mit Einbeziehung des Ex-Ostblocks und Chinas der Weltmarkt nicht mehr weiter ausdehnen kann, muß er nach innen expandieren. Das bedeutet erstens Eroberung des Makro- und Mikrokosmos: Die letzten Ökoreserven der Natur werden per Satelliten- oder Gentechnik der Verwertung unterworfen. Zweitens bedeutet es Beschleunigung in der Zeit: Neue internationale Finanzinstrumente lassen ständig unvorstellbare Mengen von Spekulationskapital um den Globus rasen. Die jährliche Summe dieser Finanzderivate in Höhe von 20.000 bis 30.000 Milliarden US-Dollar übersteigt inzwischen sogar die Höhe der jährlichen Weltproduktion!

Die Folgen sind verheerend. Halbe Kontinente werden, weil nicht verwertbar, vom Weltmarkt wieder ausgespuckt und der Verelendung preisgegeben. Und in der „Triade“ der industrialisierten Welt – Europa, Nordamerika, Japan“ sichern sich die Multis ihre Profite zunehmend über Spekulationsgeschäfte. Siemens sei „eine Großbank mit angeschlossener kleiner Elektroabteilung“, zitierte Altvater ein schon älteres Bonmot. Die dicksten Börsengewinne erzielen dabei jene Unternehmen, die durch Rationalisierung die meisten Arbeitsplätze vernichten. Allein bei VW werde die Arbeitsproduktivität derzeit jährlich um 40 Prozent gesteigert, ergänzte Horst Schmitthenner vom Vorstand der IG Metall auf dem Podium. Nach seinen Zahlen wäre ein jährliches Wirtschaftswachstum von vier Prozent nötig, um die Arbeitslosigkeit nur auf dem gegenwärtigen Level zu halten. Jedes geringere Wachstum erhöhe sie noch weiter.

Das greuliche Politikerwort vom „Standort Deutschland“, in dem die Lohnkosten „zu hoch“ und also durch Abbau des Sozialstaates zu drücken seien, haben wir also dieser mörderischen internationalen Konkurrenz zu verdanken. Die Nationalstaaten sind ökonomisch nicht mehr souverän, ihre PoltikerInnen immer erpreßbarer. Dennoch, da waren sich Altvater, Mahnkopf und Schmitthenner einig, gebe es durchaus noch nationale Handlungsspielräume. Der IG-Metaller vertrat die These, daß sich Sozialstaat und Globalisierung durchaus vertragen: ohne stabile Einkommen keine stabile Nachfrage. Das Professorenpaar schlug eine in Nuancen andere Gegenstrategie vor: erstens eine Steuer auf Kapitaltransaktionen, die die Geldströme entschleunigen und Reichtum umverteilen würde. Zweitens eine Ökosteuer, die Energie und Warenmobilität verteuert, ergo lokale Produktion stärkt, aber im Ergebnis die Arbeitsproduktivität senkt und somit für manche standortversessene Gewerkschafter und Sozialdemokraten inakzeptabel ist. Drittens radikale Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen für Nichterwerbstätige.

Dem steht die Politik der Bundesregierung gegenüber, die wie ein Spiegelkabinett der Globalisierung eine gigantische Umverteilung von unten nach oben betreibt. Zum Sparen aufzurufen und gleichzeitig die Vermögensteuer abzuschaffen sei „vollkommen verrückt“, befand Altvater. Auf einer anderen Veranstaltung kritisierte die Staatsschuld-Expertin Helga Ostendorf, die Bundesregierung fördere die Hausfrauenehe via Ehegatten-Splitting bei der Einkommensteuer mit jährlich 30 Milliarden Mark. Mit der Abschaffung des Splittings, das nur die alleinverdienenden reichen Ehemänner subventioniere, könne das aktuelle Steuerloch problemlos gestopft werden. Die Vermögenden würden durch Steuerentlastungen und Staatsverschuldung gleich doppelt gemästet, so Altvater weiter. „Die eine Hälfte der Steuerzahler zahlt die Schulden, die andere, nämlich die Bundesschatzbriefe besitzende Hälfte, kassiert. Die Schulden sind öffentlich, die Geldforderungen privat.“ Seine auf Berlin gemünzte Schlußfolgerung: „Schuldenreduzierung geht nur mit Einbeziehung der Vermögen. Sparen im investiven Bereich sollte man auf keinen Fall, auch nicht bei der Kultur. Denn was hat Berlin sonst zu bieten außer Hundescheiße?“

siehe auch Bericht Seite 5

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