■ Die Hölle, das sind für gewöhnlich immer die Nachbarn
: Angrenzender Irrsinn

Babenhausen (taz) – Oben auf dem Hügel thronen noch heute die Fugger in ihrem prunkvollen Schloß. Unten, im Markt, verhält man sich tunlichst untertänig in Babenhausen im Unterallgäu. Eine junge Mutter von zwei Kindern hat dies im Umgang mit ihren Nachbarn ein wenig vergessen. Sie hat auf ihre verbrieften Rechte beharrt und etwas so gänzlich Unmögliches verlangt, wie die Zufahrt zu ihrem älteren, von der Straße zurückgesetzten Einfamilienhaus.

Zu diesem gelangt sie nämlich nur dann, indem sie zwei vorgelagerte Nachbargrundstücke überquert. Das sollte an und für sich kein Problem sein, denn in der Notariatsurkunde vom 5. Dezember 1989 steht ausdrücklich, daß für das Grundstück ein Fahrtrecht besteht. Außerdem wird zugesichert, daß dieses Recht auch ausgeübt werden könne.

Uschi Motsch hat freilich die Rechnung ohne ihre streitbaren Nachbarn gemacht. Seit die beiden Familienvorstände von nebenan in Rente sind, wurden diese nach Frau Motschs Worten so richtig streitbar. „Einer zauberte plötzlich eine alte Urkunde von 1935 hervor, in der steht, daß unser Fahrtrecht quasi nur mit dem Pferdefuhrwerk wahrgenommen werden darf.“ Die täglichen Besorgungen des Haushalts und Gartens dürften zwar erledigt werden, so das Schriftstück von 1935, allerdings: „Ausgeschlossen sind PKW und LKW.“

Die Sache ging also vor Gericht, nachdem die Familie verständlicherweise nicht darauf verzichten wollte, ihre Einkäufe auch in Zukunft mit dem verpönten Auto zu erledigen. Dort wiederum mußte Frau Motsch sich vom Richter sagen lassen, sie könne sich ja einen Handkarren kaufen. Auch mit einer Kutsche könne sie über die Nachbargrundstücke fahren, möglicherweise auch mit einem Motorrad.

Wobei letztgenannter Punkt freilich nach wie vor strittig ist. Denn über das eine der beiden unmittelbar angrenzenden Grundstücke, die nach vorne zur Straße führen, dürfen die Motschs zwar fahren, es aber nicht begehen. Über das andere dürfen sie laufen, es aber nicht befahren.

Wenn also Manuel, der 10jährige Sohn der Familie, im Hof spielt und ein Freund vorne auf der Straße nach ihm ruft, muß er hinten am Bach entlang einen gehörigen Umweg laufen. „Der Nachbar vorne hat immer geschrien, wenn ich durchgelaufen bin, und gesagt, er zeigt mich an, wenn ich das noch mal mache.“

„Ich hätte nie gedacht, daß es so was wirklich gibt. Aber ich habe auch in der zweiten Instanz vor dem Oberlandesgericht verloren. Jetzt sind wir praktisch von der Außenwelt abgeschnitten und kommen nur noch zu Fuß über einen kleinen Fußweg zu unserem Grundstück“, berichtet Uschi Motsch. Sie und ihre beiden Kinder (10 und 6 Jahre) finden das inzwischen überhaupt nicht mehr lustig.

Auf über 15.000 Mark sind die Prozeß- und Anwaltskosten inzwischen angewachsen. „Ich arbeite quasi nur noch für diesen Prozeß“, sagt die Frau. „Morgens schaffe ich in einer Bäckerei, nachts und am Wochenende im Krankenhaus.“ Dieser Tage hatte sie Anlaß zu einem kleinen Funken Hoffnung, vielleicht doch hin und wieder zu ihrem Haus fahren zu dürfen. Der Babenhausener Bürgermeister Theo Lehner höchstpersönlich versprach, in der Sache noch einmal einen Vermittlungsversuch zu unternehmen.

Aber die Rentner von nebenan schalten bislang nach wie vor auf stur. Und Fragen zum kuriosen Nachbarschaftsstreit wollen sie erst recht nicht beantworten. Einzige Antwort: „Kein Kommentar!“ Klaus Wittmann