: Kuchen- und Hungersnot
■ Getreidepreise steigen aufgrund von Mißernten und Fleischproduktion
Bonn (dpa) – Mehl wird bald teurer. Das kündigen Mühlen und Bäcker an. Ihre Verbände berufen sich dabei auf ungewöhnlich stark gestiegene Getreidepreise. Weltweit ist Getreide derzeit so knapp wie seit 50 Jahren nicht mehr. Während in den reichen Ländern nur höhere Preise für Brot und Kuchen drohen, rechnen arme Länder mit neuen Hungersnöten.
„Im dritten Jahr ist der Verbrauch stärker gestiegen als die Produktion“, sagt Hermann Engelhardt, Getreideexperte im Bonner Agrarministerium. Die Nachfrage boomt besonders in Fernost. „Wenn in China jeder Mensch ein Hähnchen pro Jahr mehr essen möchte, müssen Millionen Tonnen Getreide mehr verfüttert werden“, sagt Engelhardt. Zunehmende Verfütterung gilt als eine Ursache für den Engpaß. Der Fleischkonsum in den Industrieländern ist dabei nach wie vor besonders hoch.
Eine andere Ursache für die leeren Getreidespeicher sind schwache Ernten. 1995 meldete Australien eine Mißernte, die USA geringe Erträge und Rußland die schlechteste Ernte seit 20 Jahren. Weltweit schrumpfte der Getreideertrag um 2,6 Prozent auf 1,9 Milliarden Tonnen. „Sollte ein Getreide-Exportland im nächsten Jahr Wetterprobleme haben, könnte es zu einer Krise kommen“, warnte der Generaldirektor der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), Jacques Diouf, bereits im November 1995.
Die Befürchtungen sind wahr geworden. Der Südwesten der USA und der Norden Chinas sind von Dürre betroffen, in Europa hat der lange Winter die Ernteprognose verdüstert. In der FAO leuchten die Warnlampen: Im Frühwarnsystem gilt eine Reserve von 18 Prozent des Welt-Jahresverbrauchs als Minimum. „Lange hatten wir 20 bis 24 Prozent Reserve. Jetzt sind es noch 15 bis 16 Prozent“, sagt Engelhardt.
Der Engpaß hat die Preise explodieren lassen. Am wichtigsten Handelsplatz Chicago verteuerte sich eine Tonne Brotweizen in einem Jahr von 200 auf 370 Mark. Die FAO warnt, arme Länder könnten Getreideimporte nicht mehr bezahlen; allein in 44 Staaten Afrikas drohe eine Hungersnot.
Europa hat zur Krise beigetragen. Um die Preise zu stabilisieren, legte die EU zehn Prozent der Anbaufläche still. Das Angebot wurde um 65 Millionen Tonnen verringert. Die Bestände in EU- Lagern schrumpften seit 1993 von 33 auf 4 Millionen Tonnen.
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