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Stochern hinter verdunkelter Kulisse

Die Beweislage im letzten großen Spionageprozeß gegen den früheren SPD-Spitzenpolitiker Karl Wienand ist äußerst schwierig. Wienands Anwalt plädiert auf Freispruch  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Jetzt sind die Richter des Düsseldorfer Oberlandesgerichts am Zug. Und bei denen fühlte sich der wegen Spionage für die DDR angeklagte frühere SPD-Spitzenpolitiker Karl Wienand bisher alles andere als gut aufgehoben. Mit einem „abgrundtiefen Mißtrauen“ seien die Senatsmitglieder seinem Mandanten gegenübergetreten, beklagte sich gestern dessen Rechtsanwalt Reinhard Birkenstock während seines Plädoyers. Hauptverantwortung dafür trage die Bundesanwaltschaft, die das „Mißtrauen und den Verdacht in diesem Verfahren inszeniert“ habe. Der Anwalt forderte gestern daher Freispruch für seinen Mandanten.

Mißtrauisch beäugt wurde Wienand, der als ehemaliger SPD- Fraktionsgeschäftsführer und enger Vertrauter Herbert Wehners vorwiegend hinter der politischen Kulisse wirkte, in seinem Leben oft. Und dort, abseits der Scheinwerfer, gab es seinen Worten zufolge „auf beiden Seiten Leute, die den Dreck beiseite geräumt haben“. Für die Drecksarbeit war sich wohl auch Wienand nicht zu schade, aber, so fügt er sogleich hinzu, „ich habe nichts und niemanden verraten“.

Das sieht die Karlsruher Bundesanwaltschaft indes ganz anders. Sie hält Wienand der „geheimdienstlichen Agententätigkeit“ für überführt und hat in ihrem Plädoyer drei Jahre Haft beantragt. Vor allem gegen Bundesanwalt Joachim Lampe hegt Wienand einen tiefen Groll. Von Anfang an habe Lampe die Ermittlungen „voreingenommen und einseitig“ geführt und eine „Art Vorverurteilung“ betrieben. Wienand spricht „von einem politischen Prozeß“ und fühlt sich an die sogenannte Steiner-Wienand-Affäre erinnert. Julius Steiner war jener CDU-Hinterbänkler, der 1972 beim CDU- Mißtrauensantrag gegen Kanzler Willy Brandt für den Sozialdemokraten stimmte. Später beschuldigte Steiner Wienand, ihm 50.000 Mark dafür bezahlt zu haben. Doch Steiners Angaben waren falsch. 20 Jahre später enthüllte ein Stasimann, daß Steiner das Geld seinerzeit in einem Gästehaus der DDR-Regierung in Ost-Berlin bekommen hatte. Doch die damalige „Hetze“ (Birkenstock) wirkt bis heute nach. Im ARD-„Presseclub“ wurde Wienand noch am letzten Sonntag als der Geldbote im Steiner-Fall denunziert ...

In den Düsseldorfer Prozeßpausen kommt Wienand auf diese Affäre immer wieder zu sprechen und sieht jetzt „die gleichen Kreise“ am Werk. Wienand, die verfolgte Unschuld? Nun, so nackt, wie der inzwischen 69jährige suggeriert, steht die Anklage nicht da. Jahrelang wurde Wienand in der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ost-Berliner Ministeriums für Staatssicherheit unter dem Decknamen „Streit“ geführt. Wienand beteuert, er sei von seinem Gesprächspartner, dem ebenfalls in Düsseldorf angeklagten ehemaligen HVA-Offizier Alfred Völkel, Deckname „Krüger“, ohne sein Wissen lediglich abgeschöpft worden. Die ganze Gestaltung der Beziehung Wienand/Völkel spricht der Bundesanwaltschaft zufolge dagegen. Seit 1975 sei diese mit „einem unbewußten Abschöpfkontakt nicht entfernt vergleichbar“. Allein bis 1983 seien über „Streit“ in der HVA 22 Bände angelegt worden. „Ein Aktenumfang, der“, so Bundesanwalt Lampe, „uns nur bei Spitzenagenten bekannt ist.“ Den Aktenumfang kennen die Ermittler, den Inhalt zum größten Teil indes nicht. Fast alles wurde von der HVA vernichtet.

Fest steht nach der Beweisaufnahme, daß in der HVA pro Jahr etwa 100.000 Mark in Devisen für den Vorgang „Streit“ bereitgestellt wurden. Während zwei MfS-Offiziere als Zeugen vor Gericht von monatlichen Zahlungen in Höhe von 10.000 Mark an Wienand sprachen, sagten andere Offiziere und Mitarbeiter aus, ein Agentenlohn sei an Wienand nie geflossen. Belege für einen Geldfluß an Wienand gibt es nicht. Doch wo ist das Geld dann geblieben? Wienands Verteidiger entwickelten dafür mehrere „Theorien“. So könne Völkel einen Teil der Knete ja auch unterschlagen oder die HVA die Mittel in andere Fonds umgeleitet haben.

Während die Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift Wienand noch beschuldigt hatte, seit 1970 für Ost-Berlin spioniert zu haben, schränkte sie ihre Anklage im Plädoyer um fünf Jahre ein. Bis Ende 1974, als Wienand aus dem Bundestag ausschied, liege ein „unentwirrbares Durcheinander“ zwischen politischen Gesprächen und strafrelevanten Kontakten mit Völkel vor. Wienand hat immer wieder erklärt, er sei im Auftrag von Wehner mit Völkel, der sich als hochrangiger Mitarbeiter der DDR-Regierung vorgestellt habe, in Kontakt getreten, um schwierige innerdeutsche Probleme abseits der offiziellen Wege abzuklären.

Klar ist, daß Wienand noch bis weit in die 80er Jahre selbst CDU- Politikern wie Philipp Jenninger als kundiger Kenner der DDR- Seite galt. Wehner selbst hatte Jenninger an Wienand verwiesen – noch 1986. Auch den Namen von Völkel kannte der CDU-Mann. So „konspirativ“, wie die Bundesanwaltschaft behauptet, lief der Kontakt Völkel/Wienand demnach nicht ab. Jenninger beschrieb sein Aussagemotiv später so: Er sei gekommen, um die „Wahrheit zu sagen, die vielen hier nicht paßt“.

Einen Teil der Verdächtigungen hat sich Wienand indes selbst zuzuschreiben. Vor allem sein Aussageverhalten während seiner ersten Vernehmung im August 1993 spricht gegen ihn. So machte er zunächst völlig unzutreffende Aussagen über die Anzahl der Treffen: Drei- oder viermal sei er nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag mit Völkel zusammengetroffen. In Wahrheit traf er Völkel aber bis 1989 fast alle sechs bis sieben Wochen – immer an Orten im europäischen Ausland. Jetzt erklärt Wienand dieses Aussageverhalten mit einer „alptraumähnlichen Situation“ am Vernehmungstag. Erst kurz zuvor habe Völkel ihm gestanden, Treffberichte für die Stasi abgefaßt zu haben. Mit einem Urteil wird im kommenden Monat gerechnet.

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