: Darf man SS-Architektur schützen?
Oranienburg lehnt den „Ensembleschutz“ für das ehemalige SS-Kasernengelände neben dem KZ Sachsenhausen ab. Architekt Daniel Libeskind möchte das Gelände am liebsten unter Wasser setzen ■ Von Anita Kugler
Wie erhaltenswert ist SS-Architektur? Darf man SS-Kasernen, SS-Siedlungshäuschen, SS-Villen, ein SS-Bad und ein SS-Krankenhaus, alle 1936 eigens errichtet für die, die das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg zu bewachen und zu leiten hatten, vor dem Verfall schützen? Gar renovieren, nutzen, urbanisieren? Oder soll man diesen Verfallsprozeß beschleunigen, alles abreißen, das Gelände gar mit neuen Gebäuden überbauen oder einen riesigen Park daraus machen?
Genau um diese Fragen geht es seit drei Jahren in der 30.000-Einwohnerstadt mit S-Bahn-Anschluß nach Berlin. Wieder aufgeflammt ist dieser Streit, nachdem der Bauausschuß von Oranienburg vor vierzehn Tagen eine Denkmalbereichssatzung einstimmig abgelehnt hat, die das Gelände, auf dem sich diese SS-Häuser befinden, unter „Ensembleschutz“ gestellt hätte. Ob die Hakenkreuze und Naziparolen, die am Donnerstag ins Gästebuch der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen geschmiert wurden, mit der aktuellen Auseinandersetzung zusammenhängen, ist unklar. Gut besucht war Ende letzter Woche jedoch die erste öffentliche Diskussion über die Zukunft des 44 Hektar großen ehemaligen SS-Ensembles.
„Die Steine zum Sprechen bringen“ – dieser Satz war der einzige, den die Kontrahenten bei dieser Diskussion gleichermaßen oft im Munde führten, um ihr alternatives Konzept zu verdeutlichen. Auf der einen Seite steht Günter Morsch, Historiker mit Denkmalpflege- Erfahrung und seit 1993 Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen.
Er möchte die Funktion und Bedeutung des gesamten SS-Geländes innerhalb der Ordnung des Terrors kenntlich machen: die Gebäude erhalten durch private oder kleingewerbliche Nutzung, die die Würde des Konzentrationslager nicht stört. Mit seinem Konzept kann er dabei auf die Unterstützung des Landeskonservators von Brandenburg rechnen, der Anfang Mai den „Ensembleschutz“ verlangt hatte und damit bei der Stadt abgeblitzt war. Jetzt soll das brandenburgische Kulturministerium darüber entscheiden.
Morschs Kontrahent ist Daniel Libeskind, der berühmte amerikanische Architekturtheoretiker des Dekonstruktivismus und Erbauer des Jüdischen Museums in Berlin. Dieser will genau das Gegenteil: Abriß, einen Park und eine neue „ornamentale“ Überbauung. Hinter sich hat Libeskind die Stadtverordnetenversammlung von Oranienburg. Sie erteilte ihm im vergangenen Oktober einen Planungsauftrag für das sogenannte SS-Kasernengelände neben dem denkmalgeschützten KZ. Denn nach langer heftiger Diskussion war sie sich darüber einig geworden, daß man dieses „schwerst kontaminierte“ Gelände nicht mit einer neuen Wohnsiedlung urbanisieren dürfe.
Von „Urbanisierung“ will Günter Morsch natürlich nichts wissen. Aber er will, und dafür wirbt er heftig, seit er das in der DDR-Zeit völlig ignorierte architektonische Konzept kennt, das umstrittene Gelände mitsamt den Gebäuden bewahren. Die Bedeutung des eigentlichen Häftlingslagers innerhalb des NS-Herrschaftssystem sei nur zu erkennen, wenn auch die Orte der Täter erhalten blieben. Nicht grundsätzlich, aber in diesem Fall. Denn Sachsenhausen, so Morsch, war das „erste moderne KZ“, geplant als „idealtypisches“, in dem Sklaven und Herren schon bei der Bauplanung ihren Platz in der NS-Gesellschaft zugewiesen bekamen.
Um den Rang Sachsenhausens zu verdeutlichen, habe der SS-Architekt Kuiper 1935/36 ein Häftlingslager in Form eines gleichschenkligen Dreiecks entworfen, dessen Bauten er nach einer Geometrie des totalen Terrors anordnete. Vom Turm A aus sollte man mit einem einzigen Maschinengewehr das gesamte Häftlingslager in Schach halten. Diese Geometrie setzte sich in der architektonischen Verknüpfung des eigentlichen KZs mit dem SS-Truppenlager, der Kommandatur, den Villen und Siedlungshäusern fort.
Vom Sitz der Lagerführung in der Mitte (Turm A) führte bis zum Ende des Häftlingslagers auf der einen Seite und bis zu den SS-Häusern auf der anderen Seite eine zentrale Mittelachse. Links und rechts von ihr waren „spiegelbildlich“ alle Gebäude, alle Plätze arrangiert: Hier Häftlingsbaracken, dort Mannschaftskasernen, hier Appellplatz, dort Sportfeld und so weiter. Luftbilder von 1936 lassen erkennen, daß die gesamte Anlage die Form eines Dreiecks trug. Und neuere Forschungen zeigen, so Morsch, daß auch der Teil, den die SS nutzte, streng hierarchisiert war: ganz unten standen die Holzhäuser für einfache Kommandanten und oben die komfortablen Villen mit Führerbalkon für die Leitung.
„Der Ort Sachsenhausen, die ideologische Bedeutung ihrer Gesamtarchitektur für das System des totalen Terrors ist bis jetzt völlig verkannt worden“, meint der Gedenkstättenleiter. „Das Ensemble ist ein offenes Buch von Macht und Herrschaft.“ Nirgends könne man dies so gut lesen wie in Oranienburg.
„Richtig“, meint hingegen Daniel Libeskind. Deswegen habe sein Büro für das sogenannte SS- Kasernengelände ja auch ein Konzept entworfen, das zur Auseinandersetzung mit dem Terror auffordere, aber auch einen Weg ins Lebendige zeige. Sein ursprünglicher Entwurf von 1993 sah vor, alle Gebäude des SS-Truppenlagers – auch die Kaserne, die das Land Brandenburg seit zwei Jahren zur Unterbringung der Polizei nutzt – bis auf die Grundmauern abzureißen und in einem neu zu schaffenden See zu versenken. Weil der Stadt, der dieser radikale Entwurf zu teuer war, Abstriche verlangte, verteidige er jetzt seinen Kompromiß von 1995: Statt des Sees jetzt einen Wald auf der einen Seite und auf der anderen Seite einen „bebauten Park“. Bei den SS-Villen und SS-Freizeiteinrichtungen will er den „natürlichen Verfall“ durch Nichtstun beschleunigen; sie zu nutzen, sei geradezu „obszön“.
Die Mittelachse, als Symbol der SS-Hierarchie, in der die Häftlinge unten und die Herren oben waren, soll durch eine neue, quer zu bauende Achse zerstört werden. Sie weist in die Richtung des „Todesmarschs“, auf den Weg, den die Häftlinge bei der Auflösung des Lagers durch die SS im April 1945 haben nehmen müssen. Neben dieser neuen Mittelachse sieht Libeskinds Entwurf parallel dazu den Bau neuer Häuser vor. Sie sollen „Orte der Hoffnung“ werden. In ihnen können Bildungseinrichtungen und Ausbildungszentren für Jugendliche entstehen. „Das Dreieck symbolisiert den Tod“, so Libeskind. „Die Häftlinge mußten es auf ihren Jacken tragen, die SS- Gesamtanlage in Form eines Dreiecks setzt den Tod fort.“ Die Gebäude zu erhalten, ist eine „Domestizierung des Terrors“, sie gar restauriert zu nutzen, eine „Banalisierung“, eine „Verharmlosung“. „Ich will kein Nazi-Disneyland“, fordert er, sondern neue Häuser: „Sie sollen so genutzt werden, daß sie den Bedürnissen der Menschen Rechnung tragen.“
Daß diese Debatte keine akademische ist, sondern wie Morsch meint, der Versuch der Stadtverordnetenversammlung, „sich auf der einen Seite mit dem berühmten Libeskind zu schmücken, aber auf der anderen Seite den kalten Abriß zu planen“, zeigen die jüngsten Ereignisse. Denn die Paradoxie ist, daß die Stadtoberen den „Ensembleschutz“ für das gesamte Gelände zwar ablehnen, aber nur, so Morsch, damit die 22 Holzhäuser der früheren SS-Kommandanten genauso bleiben, wie sie jetzt sind: modernisiert, verblendet, bemalt, ungekennzeichnet.
Bernd Jarczewski (SPD) nach der Ablehnung der Denkmalsbereichssatzung: „Wir möchten für die Bürger Oranienburgs entscheiden und vor allem die Interessen jener wahren, die in früheren SS- Häusern wohnen.“ Hildegard Busse (PDS) völlig entsetzt: „Vielleicht werden noch Gedenktafeln angebracht, um an die SS-Leute zu erinnern, weil sie darin wohnten.“ Und Jürgen Rathenau (Bündnis 90/Die Grünen) wird in einem Zeitungsbericht zitiert: „Wenn diese Häuser zu Denkmälern erklärt werden, könnten sie zu Wallfahrtsorten für Neonazis werden.“
Günter Morsch findet das alles furchtbar demagogisch, weil Ensemble- und Denkmalschutz für die Nutzer völlig verschiedene Konsequenzen haben. Er befürchtet, daß die Stadtverordnetenversammlung den Libeskind-Entwurf nur deshalb so engagiert verteidigt, weil sie genau weiß, daß er nicht finanzierbar ist. Und derweil lasse man den Rest verfallen, vielleicht um irgendwann Tatsachen zu schaffen für ein Gewerbegebiet. Was die Mehrheit der Bürger von Oranienburg ohnehin am liebsten will. Morsch warnt: „Was weg ist, ist weg“, und so wie es jetzt durch Nichtstun geschieht, „sei es das Gegenteil von einem bewußten Umgang mit der Geschichte“.
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