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Der korsische Knoten bleibt fest geschnürt

Die Korsika-Frage steht in Paris wieder einmal auf der Tagesordnung. Diesmal sollen die rebellischen Insulaner mit wirtschaftlichen Sonderrechten befriedet werden. Doch viele Franzosen blicken neidisch auf die Insel  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Koffer voller Geld hätten die Sozialisten bei sich gehabt, wenn sie zu ihren Verhandlungen mit den Terroristen nach Korsika gefahren seien, erklärte der konservative französische Justizminister Jaques Toubon in der Nationalversammlung. Die Abgeordneten auf den Oppositionsbänken nahmen den Angriff empört zur Kenntnis, protestierten und zogen schließlich aus.

Statt der verlangten Entschuldigung erhielten sie in der vergangenen Woche immerhin die schriftliche Bestätigung von Staatspräsident Jacques Chirac, daß angesichts der Entwicklung auf Korsika, „die die Franzosen beunruhigt“, eine „verantwortungsvolle und polemikfreie Haltung“ die Regel sein müsse.

Die Frage, was auf der Mittelmeerinsel „verantwortungsvoll“ ist, steht wieder einmal auf der Pariser Tagesordnung. Erstmals in der französischen Geschichte fand in der vergangenen Woche eine Debatte in der französischen Nationalversammlung ausschließlich zu diesem Thema statt. Doch statt konkreter Initiativen lieferten die Pariser Politiker nur ein neues Kapitel ihres Parteienstreits. Die Ankündigung von Premierminister Alain Juppé, er werde noch „vor dem Sommer“ nach Korsika fahren, dürfte den desaströsen Effekt der Debatte vor laufenden TV-Kameras und einem halbleeren Parlament nicht ausgeglichen haben.

Eine seit Monaten währende Serie kleiner Anschläge gegen zentralfranzösische Institutionen auf der Insel verunsichert in diesem Jahr erneut Korsen und Festlandfranzosen. Letztere sprachen sich zwar bei einer Umfrage vor einigen Wochen zu drei Vierteln für einen Verbleib der Insel bei Frankreich aus, doch reagieren viele Franzosen zunehmend genervt auf die endlosen Auseinandersetzungen. Sie führen zur Begründung an, daß Korsika die inzwischen bestunterstützte Region Frankreichs ist, die pro Einwohner jährlich 1.320 Francs (umgerechnet 388 Mark) Zuschüsse erhält, im Gegensatz zu weit unter 1.000 Francs selbst in den strukturschwächsten Gegenden des Festlands. Herumgesprochen hat sich inzwischen auch, daß das korsische Prokopfeinkommen über dem von 75 Prozent der EU-Bürger liegt, daß in Korsika die meisten Steuern niedriger sind und daß die Insel sich ein aufwendiges Straßenbauprogramm leisten kann.

Der einstige konservative Premierminister und jetzige Bürgermeister der Großstadt Lyon, Raymond Barre, spricht aus, was viele seiner Landsleute denken: „Wenn sie das unbedingt wollen, sollen die Korsen ihre Unabhängigkeit haben“, sagte er in einem Radiointerview. Auf eine weitere Ausdehnung ihrer Sonderrolle jedenfalls, auf zusätzliche Geschenke und Subventionen, sollten sie nicht spekulieren.

Nach den Ansätzen der sozialistischen Regierungen, den Konflikt mit Hilfe institutioneller Reformen zu lösen, sucht die gegenwärtige Regierung vor allem nach einer sozialen und wirtschaftlichen Auflösung des korsischen Knotens. Seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr steht Innenminister Jean-Louis Debré in Verhandlungen mit der stärksten Fraktion der bewaffneten korsischen Nationalisten, der FLNC-Canal historique, bzw. ihren legalen Vertretern von „A Cuncolta naziunalista“. Damit hat er seit vergangenem Oktober mehrere jeweils dreimonatige „Waffenstillstandserklärungen“ erreicht.

Die wurden zwar machtvoll angekündigt – unter anderem mit einer nächtlichen „Pressekonferenz“ von 600 schwerbewaffneten Kämpfern, wenige Stunden vor einem Besuch des Ministers auf der Mittelmeerinsel –, doch änderte sich nichts an der allgegenwärtigen Gewalt.

Im Gegenteil: Als Nebenprodukt der Verhandlungen, die der Innenminister vorsichtig „Kontakte“ oder „Dialog“ nennt, nehmen die Spannungen auf der Insel zu. Die mit dem FLNC-Canal historique konkurrierenden nationalistischen Gruppen reagieren auf die Bevorteilung ihrer Gegner teils mit neuer Gewalt.

Über den Inhalt der Gespräche gibt es nur Gerüchte, die von interessierter Seite lanciert werden. So sollen die Nationalisten, die seit nunmehr 20 Jahren im bewaffneten Kampf gehen Paris stehen, unter anderem die Bedingungen für ihren Ausstieg aus dem Untergrund verhandeln: Von einer friedlichen Konversion, garantierten Arbeitsplätzen oder einer Übersiedlung ins Ausland ist die Rede. Ihre privilegierte Position als Ansprechpartner der konservativen Regierung nutzt „A Cuncolta naziunalista“ weidlich aus. Mitte Mai verlangten ihre Sprecher „deutlich sichtbare Zeichen von Regierung“ als Voraussetzung für eine Verlängerung ihres Waffenstillstands.

Keine französischen Normen für die Korsen

Innenminister Debré zeigte wiederholt seine Bereitschaft, über alle Forderungen seiner korsischen Partner zu reden. In seiner Aufzählung: „Institutionen, Kultur und Wirtschaft“ fehlt nur das Stichwort „korsisches Volk“, dessen Anerkennung die Nationalisten weiterhin verlangen, obwohl der Verfassungsrat diesen Versuch bereits einmal zensiert hat. Wie seine Amtsvorgänger auch, will Debré den Korsen nicht mehr die französische Norm aufzwingen, sondern Lösungen suchen, die der Insularität seiner Partner angepaßt sind. Ein Paket zusätzlicher wirtschaftlicher Sonderangebote für die Korsen gehört ebenfalls zu den Befriedungsversuchen der aktuellen Regierung.

Bis zur vergangenen Woche wollte Paris Korsika offiziell zur „Freizone“ machen, einem Modell, das für die „heißen Vorstädte“ auf dem Festland entwickelt wurde, um dort Investitionen per Steuererlaß anzulocken. Seit ein paar Tagen ist in Paris von einem „Entwicklungsterritorium“ Korsika die Rede, für das ebenfalls Ausnahmen von der Steuergesetzgebung gelten sollen.

Von der Brüsseler EU- Kommission, wo die Pariser Regierung ebenfalls versucht hat, neue Subventionen lockerzumachen, kam bereits laute Kritik an der „Wettbewerbsverzerrung“ auf der Insel. Auf Korsika hingegen, wo die Wirtschaft dank der regelmäßigen Infusionen aus Paris und Brüssel überlebt, stoßen die angekündigten neuen Zuschüsse auf Zustimmung.

Eine Auflösung des korsischen Knoten freilich verspricht der Geldsegen der konservativen Regierung auch nicht. Dahinter steckt wieder einmal die Logik des bewaffneten Kampfes, der diese neuen Zugeständnisse ausgelöst hat. Es ist derselbe bewaffnete Kampf, der die Insel lähmt. Und der Polizisten, Richter und selbst investitionswillige Korsen auf das Festland treibt.

„Selbst ein völlig defiskalisiertes Korsika“, so der einstige sozialistische Premierminister Laurent Fabius, „wird keinen zusätzlichen Investor anlocken, solange dort zwei Mal wöchentlich Bomben auf Polizeiwachen explodieren.“

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