: Stille Hilfe zwischen den Trümmern
■ „Überleben in Sarajevo“: Eine Fotoausstellung in der Angestelltenkammer über die Hilfsdienste der jüdischen Gemeinde in einer belagerten Stadt / Heute Eröffnung
Eine „uralte Tradition“ der jüdischen Gemeinden in aller Welt sei es, Wohlfahrtseinrichtungen aufzubauen, aus der Diaspora heraus zu helfen, sagt Elvira Noa, Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde in Bremen. Im ehemaligen Jugoslawien ist das die Organisation „Benevolencija“ mit Sitz in Sarajevo. Der Fotograf Edward Serotta zeigt ab heute abend 82 großformatige Schwarzweiß-Fotografien in der Angestelltenkammer, Dokumentation seiner Reise in die jüdischen Gemeinden Osteuropas.
„Überleben in Sarajevo“ heißt die Schau mit Porträts von Serben, Kroaten, Muslimen, Juden, die gemeinsam geholfen haben, das Leben in der belagerten Stadt etwas leichter zu machen.
Daß „Benevolencija“ die einzige Erste-Hilfe-Klinik der Stadt eingerichtet, 380 Tonnen Lebensmittel verteilt, 100.000 Briefe befördert und kostenlose Wohnungen für bosnische Flüchtlinge zur Verfügung gestellt hat, ist kaum bekannt.
380 Tonnen Lebensmittel verteilt
Die Organisation arbeitet im Verborgenen; auf mediale Aufmerksamkeit kann sie verzichten.
Umso wichtiger, daß Edward Serotta in seinen unspektakulären ernsthaften Aufnahmen die stille karitative Tätigkeit von „Benevolencija“ vorstellt. Serotta ist kein Kriegsreporter; er ist nach Sarajevo gefahren, „weil Juden zum ersten Mal während eines modernen Krieges in Europa Christen und Moslems aktiv gerettet haben“. Was man auf den Bildern sieht, ist jener furcht- und selbstlose Kern der jüdischen Gemeinde Sarajevos, der nicht zu Beginn des Krieges die Stadt verlassen hat. Die Gebliebenen – rund 25 Prozent – haben die jüdische Gemeinde zu einem Hilfszentrum umgebaut. Was man auf den Bildern sieht: „Jadranka, Ärztin“, „Igor, Briefträger“, „Denis und Radoslav, Wasserträger“ – vier von 54 Freiwilligen, die derzeit karitativ tätig sind. Ihr Gehalt ist eine warme Mahlzeit. Serotta hat auch einen schweren alten Schlüssel fotografiert. Den nahmen die Juden 1492 bei ihrer Vertreibung aus Spanien mit, in der Hoffnung, einmal wieder in ihre Häuser zurückzukehren.
Bereits vor einem knappen Jahrhundert wurde „Benevolencija“ in Sarajevo gegründet, von einigen wohlhabenden sephardischen Juden. Mit der Besetzung der Stadt durch deutsche und kroatische Truppen 1941 mußte die Organisation ihre Arbeit einstellen – bis sie 1990 erneut ins Leben gerufen wurde.
Serotta ist kein Kriegsreporter
„Überleben in Sarajevo“ hat bereits illustre Ausstellungsorte bereist, darunter das Jüdische Museum in Wien und die Royal Festival Hall in London. In Bremen habe sich allerdings niemand so recht für die Schau interessiert, klagt Elvira Noa. Immerhin habe sich dann noch die Angestelltenkammer als Kooperationspartner gefunden. Und einige interessante Gäste, die in die Ausstellung einführen. So wird Andrej Mitrovic von der Universität Belgrad über die „Ursachen des Zerfalls Jugoslawiens“ sprechen. Petrovic gilt als „geistiger Kopf der serbischen demokratischen Friedensbewegung“, die unter ihrer „Isolierung im eigenen Lande zu leiden habe“, sagt Imanuel Geiss, Historiker an der Universität Bremen, der heute abend einleitende Worte spricht.
Alexander Musik
Eröffnung heute abend, 20 Uhr, Angestelltenkammer, Bürgerstr. 1, in Anwesenheit von Edward Serotta, Elvira Noa und Andrea Frohmader (Brücke der Hoffnung)
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