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■ StandbildDie Quotenreportage

„Nackt in Öl 2 1/2“, Sonntag, 23.05 Uhr, RTL 2

Manchmal sind die Menschen in den Diskotheken nackt und ölig. Zufällig kommt dann ein Reporter vorbei und filmt sie ab. Der kurze Beitrag wird gesendet. Die Gesellschaft für Kommunikationsforschung schreibt hohe Quoten. Und der Redakteur Martin Husmann reißt (endlich mal!) die Tassen hoch. Er bestellt eine weitere Öl-Reportage. Und wieder hagelt es Quoten. Also gibt Husmann nochmals eine Reportage in Auftrag „Nackt in Öl, Teil zweieinhalb“. Und man muß sich schon schwer irren, wenn man da nicht Zeuge bei der Genese eines neuen Genres wird: der Quoten-Reportage.

Die zeigt immer wieder das Gleiche: ölige Menschen. Das heißt, machmal tragen sie nur Farbkleckse oder Tangas. Aber immerzu müssen sie auf den Tanzflächen einiger Landdiskotheken herumwackeln, und die anderen müssen ihnen was klatschen. Manchmal tritt ein fast nackter Kollege herzu und tanzt etwas mit. Meistens aber nicht. Es ist ein einsames Leben.

Und auch der Sprecher mit dem Reality-Sound weiß nur traurige Sätze aufzusagen: „So ein Mannsbild wurde in Eggersfeld noch nicht gesehen.“ Oder er kommentiert das Schluchzen eines gewissen Robert mit verstohlener Betroffenheit: „Robert muß den Orgasmus einer Frau akustisch nachstellen.“

Manchmal treten die Menschen in Öl einigen anderen, eher passiven Menschen in die Eier. Um uns auf andere Gedanken zu bringen, sagt der Sprecher Lutz Lambrecht dann was Analytisches: „Diese Situationen machen der Tänzerin Spaß“ oder: „Gerade in Ostdiskotheken fließt viel Alkohol.“ Aber das kann uns auch nicht heiter stimmen. Im Gegenteil. Man denkt beim Betrachten der Reportage von Janik Winter immerzu nur an den Vater von Nick Cave. Der klettert täglich auf einer hölzernen Leiter einen Wellblechtank hinauf und blickt dann mit nervösen Augen über den rostigen Rand hinweg auf ein Massaker. Dort unten am Boden humpeln verstümmelte Tiere aufeinander zu, zischen, wimmern, vergewaltigen und fressen einander.

So auch in den Diskotheken in Eggersfeld, in Uelzen, Chemnitz oder in Berlin. Und wenn man es recht bedenkt: Auch in den Quotenreportagen, die diese Shows befördern, und auch in den Quotenredaktionen: überall nur Tiere, von Fallen verkrüppelt und von Fallenstellern aufeinander gehetzt. Erbarmungslos. Marcus Hertneck

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