: Falsche Mittelstandspolitik des Senats
■ Der Ökonom Karl Brenke über die Berliner Wirtschaftspolitik: "Subventionierung von Kfz-Handwerkern bringt gar nichts." Berlin habe seine Rolle in der internationalen Arbeitsteilung noch nicht gefunde
taz: Der Senat hat den Eintrittspreis für die Hallenbäder gerade auf sechs Mark erhöht. Ein zu tiefer Griff ins private Portemonnaie?
Karl Brenke: Wenn die Konjunktur schwach ist, und die privaten Haushalte sich mit Käufen zurückhalten, sollte man Maßnahmen vermeiden, die die Nachfrage zusätzlich dämpfen. Das schwächt die Wirtschaft noch mehr. Doch genau das macht Berlin, wie auch die übrigen Länder und der Bund. Der Beschäftigungsabbau im öffentlichen Dienst senkt die Einkommen der Beschäftigten. Wenn das Land weniger investiert, gibt es weniger Aufträge für die Bauwirtschaft. Man muß natürlich sehen, daß der Senat in der Klemme steckt. Sein Haushaltsdefizit beläuft sich auf zehn Milliarden Mark. Um nicht völlig handlungsunfähig zu werden, muß das Land zwangsläufig Ausgaben kürzen.
Der Ausbau des Messegeländes am Funkturm kostet fast drei Milliarden Mark. Sollte die Regierung bei teuren Großprojekten sparen anstatt bei den kleinen Leuten?
Natürlich darf man das Geld nicht nur dort holen, wo sich der geringste Widerstand regt. Aber man muß auch Rücksicht nehmen auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Standortfaktoren. Bestimmte Investitionsprojekte sind sehr wichtig, um sich die Zukunftschancen nicht zu verbauen. Ich glaube, dazu gehört auch das Messeprojekt – genauso wie der zukunftsträchtige Wissenschaftspark in Adlershof.
Im Bereich der Wissenschaften, der Verkehrs-, Medizin- und Gentechnologie habe Berlin gute Voraussetzungen für den Aufschwung, sagt der Wirtschaftssenator. Stimmt das?
Diese Pflänzchen sind noch nicht groß. Sie müssen erst mal wachsen. Allerdings gibt es Impulse im Bereich der Verkehrstechnik – nicht zuletzt, weil einige große Unternehmen mit ihren Führungsstäben nach Berlin gekommen sind. Auch die Bahn AG plant, zentrale Funktionen an die Spree zu verlagern.
Auf anderen Feldern hat die Stadt ihre Rolle in der internationalen Arbeitsteilung noch nicht gefunden. Im Dienstleistungssektor spielt Berlin bis heute überregional keine große Rolle. Die Karten sind verteilt, und daran wird sich mittelfristig auch nicht viel ändern lassen. München fungiert als Zentrum für Filmwirtschaft und EDV-Dienstleistungen, Düsseldorf als Modestadt, Hamburg ist Verlagsstadt und Frankfurt der Finanzplatz. Diese Regionen verfügen über ein klares Profil, Berlin noch nicht.
Welches Stück vom Kuchen kann Berlin bekommen?
Es gibt sicherlich einen Schub, wenn die Regierung umzieht. Nicht die 10.000 oder 15.000 Beamte, die von Bonn nach Berlin kommen, sind das Wichtigste, sondern der nachfolgende Troß der Botschaften, Handelsvertretungen und Verbände.
Unternimmt der Senat genug, um Berlin zur Hauptstadt der Verkehrstechnik zu machen?
Was soll der Senat tun? Man muß doch sehen, daß die Möglichkeiten regionaler Wirtschaftspolitik sehr begrenzt sind. Wenn die Unternehmen meinen, daß Berlin ein wichtiger Standort ist, kommen sie her, sonst nicht.
Eine fatalistische Betrachtungsweise.
Man kann freilich einige Standortbedingungen verbessern. Der Senat reserviert preisgünstige Flächen für Firmenansiedlungen. Vielleicht lockt auch die Magnetschwebebahn Transrapid einige Unternehmen an die Spree. Man sollte sich aber nichts vormachen: Betriebe in Massen zieht das nicht in die Stadt. Außerdem läßt die Berliner Wirtschaftspolitik bei ihrer Mittelstandsförderung einen wichtigen Aspekt außer acht. Es gilt, besonders Berliner Firmen finanziell zu unterstützen, die auf überregionalen Märkten tätig sind. Eine Meisterprämie für die Gründung einer Autowerkstatt bringt dagegen gar nichts.
Das schafft ein paar Arbeitsplätze...
Diese Denkweise ist falsch. Der neue Kfz-Handwerker nimmt seiner Konkurrenz nur Kunden und Umsatz weg. Das Gesamteinkommen unserer Region wächst dadurch nicht, es wird nur anders verteilt. Damit zusätzliches Geld von außen nach Berlin kommt, muß man diejenigen Firmen fördern, die auf überregionalen Märkten agieren.
Rechnen Sie für das laufende Jahr mit einer Erholung der Wirtschaft?
Nein, wir korrigieren unsere Wachstumsprognose gerade nach unten. Weil die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik schlechter verläuft als vermutet, wird Berlin 1996 wohl nicht einmal das knappe Prozent Wachstum erreichen, das wir zu Jahresbeginn erwartet haben. Interview: Hannes Koch
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