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Statt Neuanfang nur die bekannte Abwehr

■ Die SPD suchte nach „Perspektiven“ und fand doch nur lauwarme Diskussionen

Bonn (taz) – Am Montag hatte die SPD vielversprechend zur „Perspektivkonferenz 1996“ gebeten. Und nicht nur Freunde eingeladen. „Wir wollen über unseren Tellerrand hinausgucken“, hatte Fraktionschef Rudolf Scharping versprochen, und Parteichef Oskar Lafontaine hatte Experten angekündigt, die „nicht nur beklatschen, was wir machen“. In Zeiten wie diesen dürfe schließlich nichts unversucht bleiben, sich weiterzuentwickeln. Soweit der Plan.

Am Nachmittag: Auf einem Schild rechts der Bühne im Maritim-Hotel in Königswinter sticht das Thema der Arbeitsgruppe III vielversprechend ins Auge: „Sozialstaat modernisieren“. Zweieinhalb Stunden steht es da, das Schild, es mahnt und mahnt, doch niemand will so recht perspektivisch den modernen Sozialstaat angehen. Statt dessen wird in Bundestagsmanier auf Rolf Kroker vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, einen der eingeladenen kritischen Geister, eingedroschen, der meint, „der Sozialstaat darf kein Wohlfahrtsstaat werden“. Brandenburgs stimmgewaltige Sozialministerin Regine Hildebrandt ereifert sich aufs prächtigste, um nach einer Viertelstunde sinngemäß zu enden: Geben Sie doch zu, daß sie wider besseres Wissen reden. Gegen Ende der Veranstaltung platze dann einem Genossen der Kragen. „Es darf doch nicht nur um eine Abwehrschlacht gehen“, sagt Michael Vollert vom Bundesvorstand der Falken entrüstet. Den ganzen Tag lang sei lediglich darüber geredet worden, die Sparpläne der Bundesregierung zurückzuweisen. Über die Schaffung von Arbeitsplätzen habe er noch kein Wort gehört. Ob darunter etwa Modernisierung zu verstehen sei? Danach kam nur noch Altbekanntes. Auf den Fluren fiel immer wieder das Wort von der „Betonpartei“.

Angefangen hatte der Tag mit einer einstündigen Rede von Oskar Lafontaine. Etwa 15 Minuten lang feilte der SPD-Chef an seinem Image als Europapolitiker. „Wir müssen lernen, daß Nationalstaaten keine Firmen sind. Statt einander niederzukonkurrieren, müssen sie kooperieren. Deshalb sind wir Sozialdemokraten für eine Politik der internationalen Zusammenarbeit.“ Ob das Scheitern des Entsendegesetzes zur Verhinderung des Lohndumpings auf Bausstellen den Ausschlag für diese Gewichtung gegeben hat?

Lafontaine präsentierte seine Partei als die der Bewahrer: Absenkung der Lohnnebenkosten, Steuersenkung für Arbeitnehmer, Abbau des Solidaritätszuschlags, kein Verzicht auf Anhebung des Kindergeldes noch in diesem Jahr, weiterhin uneingeschränkte Unterstützung für den Aufbau Ost. Wo das Geld dafür herkommen soll? Vermögenssteuer beibehalten und den Besserverdienenden einen Lastenausgleich nach dem Vorbild der Nachkriegszeit abverlangen, lautete die Botschaft der Perspektivkonferenz.

Damit war wenigstens der Funken für eine Diskussion gelegt. Gastredner Peter Bareis, Hauptautor des gleichnamigen Steuergutachtens für die Bundesregierung, erteilte sowohl der Vermögenssteuer als auch dem Lastenausgleich eine Absage. Die Vermögenssteuer sei schließlich schon in der jetzigen Form für verfassungswidrig erklärt worden, und der Lastenausgleich werde vor den Verfassungsrichtern wahrscheinlich keine Chance haben. Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier konterte in Arbeitsgruppe II, die sich mit dem Steuersystem beschäftigte: Die Verschiebung der Kindergelderhöhung sei grundgesetzwidrig verschoben worden, da müsse für ein wichtiges Projekt wie die Vermögensabgabe doch eine Änderung des Grundgesetzes möglich sein.

Am Ende des Tages faßte Oskar Lafontaine die Ergebnisse zusammen. Die Zuhörer staunten nicht schlecht, daß er sich aufmachte, in Kohlsche Fußstapfen zu treten, indem er vehement für die Währungsunion eintrat. Er sei erfreut, daß seine Idee von der Zusammenarbeit der europäischen Länder aufgenommen worden sei, verkündete er. Auf den Einwand von Peter Bareis zum Lastenausgleich habe Ingrid Matthäus-Maier ja schon die passende Antwort gegeben. Nach diesen harmonischen Worten war es das auch schon. Was blieb, war die Perspektive auf ein schönes Abendessen. Markus Franz

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