■ Frankreich und Deutschland mußten ihr Verhältnis klären: Normale Mißverständnisse?
Wenn es den deutsch-französischen Beziehungen gutgeht, dann geht es auch Europa gut – das gilt seit den Anfängen der bilateralen Gemeinschaft. Der Umkehrschluß zeigt, daß es in den vergangenen Wochen wieder einmal besonders schlecht um die europäische Eintracht stand. Nach den Atomtests des letzten Jahres haben in diesem Jahr die rüstungs- und militärpolitischen Alleingänge der französischen Regierung Bonn verärgert. Die Freundschaftsbeschwörungen beim 67. Deutsch-Französischen Gipfel in Dijon und die ebenso demonstrative wie ungewöhnliche Verlängerung des Treffens gestern in Paris machen deutlich, daß Jacques Chirac und Helmut Kohl es eilig hatten, ihr Verhältnis ins reine zu bringen – rechtzeitig vor dem europäischen Gipfel in Florenz.
Ihr Treffen in Dijon endete mit dem Beschluß, ein gemeinsames Verteidigungskonzept auszuarbeiten und den militärisch-industriellen Komplex beider Länder gemeinsam auf Sparmöglichkeiten zu durchforsten. Ihr dreistündiges Treffen am gestrigen Donnerstag in Paris diente zu Absprachen in anderen Politikbereichen. Dabei haben sich der Präsident und der Kanzler gegenseitig Mut gemacht. Alle Paare mögen so gut harmonieren wie das deutsch-französische, wünschte sich Chirac. Mißverständnisse seien eine „völlig normale Angelegenheit“, ergänzte Kohl seinen Duzfreund.
Die feierliche Bestätigung der Freundschaft wirft die Frage auf: Warum nicht gleich so? Zumal die Gemeinsamkeiten zwischen den Regierungen in Paris und Bonn – von der konservativen Grundhaltung über die Austeritätspolitik bis hin zu der Ausrichtung auf die Europäische Währungsunion – das Trennende weit überwiegen. Der jüngste deutsch-französische Konflikt hat jedoch wieder einmal bewiesen, daß innenpolitische Interessen im Zweifelsfall Vorrang haben. Chirac, der sich auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik mit einer großen Reform profilieren wollte, kündigte die Abschaffung der Wehrpflicht sowie Kürzungen im Rüstungsbereich – Souveränität verpflichtet – ohne Rücksicht auf seinen engsten Partner an. Zugleich zeigt die prompte und heftige Reaktion aus Bonn, daß in den zentralen Politikbereichen überhaupt keine reine Innenpolitik mehr möglich ist. Die Verpflechtungen sind so weit fortgeschritten, daß jede Änderung der politischen Linie automatisch den Partner mit einbezieht. Nach den vier Jahrzehnten des europäischen Einigungsprozesses mag das ein mageres Ergebnis sein. Es ist aber immerhin eine Gewißheit. Dorothea Hahn, Paris
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen