: Räudiges für den geschniegelten Alltag
■ Michael Mittermeier, der selbsternannte „Rock 'n' Roller der Comedy“, hängt in der Bar jeder Vernunft u.a. den Schlüsselerlebnissen vergangener Fernsehtage nach
Gemeinsam der Aufnahmestudios von Eduard Zimmermanns „XY – ungelöst“ zu gedenken, ist immer wieder schön. Meistens muß nur jemand Namen wie Peter Niedetzky oder Konrad Töns in den Raum werfen, schon herrscht allgemeine Heiterkeit. Für eine Party kann so etwas reichen, ein Kabarettist sollte sich aber ein bißchen mehr ausdenken, als bloß besonders akribisch Schlüsselerlebnisse vergangener Fernsehtage hervorzukramen. Besonders wenn man sich wie Mittermeier in der Ankündigung zum „TV-Junkie“ krönt. An das Halbblut Apanatschi zu erinnern ist schon irgendwie skurril, kein Thema, aber irgendwann ist es im allgemeinen auch mal gut mit dem kultigen Gewese um den alten TV-Trash.
Nicht so bei Michael Mittermeier. Der pfeift die Enterprise- Melodie so fröhlich und unbedarft, als sei er der erste, der die unfreiwillige Komik durchblickt hat. Recht wahllos zappt er sich durch sein Programm und zerrt die alten Zombies auf die Bühne: den Fröschl vom Morddezernat, die Uschi Glas und das Mädchen aus der o.b.-Werbung. Geht ihm mal der „TV-Stoff“ aus, erzählt er halt ein paar Döntjes von seinem letzten USA-Trip: Ein Bayer in New York, so einfach kann schlechte Comedy sein.
Noch uninspirierter sind nur noch die Ausflüge ins Nachbargenre der Werbung. Da geht mit Mittermeier dann völlig der Klassenclown durch. Klar sieht Kate Moss ziemlich fies aus – sie aber als Model aus der Sahelzone zu verunglimpfen, gehört selbst im Kleinstkunstbusineß auf den Index. Doch in der Bar jeder Vernunft läßt man sich gern mal mit räudigen Späßchen aus dem geschniegelten Charlottenburger Alltag entführen.
Auch Mittermeiers Gesichtsmuskulatur sind Zwischentöne fremd. Seine Parodien lassen nur wenig Platz für Nuancen, statt dessen schneidet er immer gleich die volle Grimasse. Der „Rock 'n' Roller der Comedy“ (Mittermeier über Mittermeier) ist eher ein Mann für Menschen mit Lachfalten. Die schmunzelnd vieles durchgehen lassen und selbst einen Japaner-Witz mit „der war gut“ bedenken. Für die Wählerischeren empfiehlt sich Mittermeier nur dann, wenn er seine Bildschirmgeschichten über den Rand des Mediums hinausdenkt. Wenn Pierre Briece irgendwann als ausgemergelter Blutsbruder am Bahnhof von Bad Segeberg herumhängt und die Passanten um eine finale Infusion anbettelt.
In Ansätzen fulminant gerät dem Bayer das Finale. Zum Showdown auf der Waltons-Farm läßt der ansonsten harmlose Irrwisch noch einmal alle Kameraden in sich fahren, um sie zu einem gruseligen Amalgam zu verschmelzen. So knallt der Kabarettist am Schluß richtig durch. Zum erstenmal im positiven Sinn. Oliver Gehrs
Michael Mittermaier: „Zapped! – Ein TV-Junkie knallt durch“, bis 23.6., außer 10./11. und 17.6., 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Charlottenburg, Telefon 8831167
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen